Qiu Xiaolong
Seine mißliche Lage wurde noch durch die Bauarbeiten verstärkt, die hier überall im Gange waren und die Straßen in einen üblen Zustand versetzten. Die vielen Schlaglöcher machten sein Leiden fast unerträglich. Immer wieder mußte der Bus scharf bremsen, woraufhin seine stattliche Nachbarin das Gleichgewicht verlor und mit ihm zusammenstieß. Das war kein Tuishou. Erhörte sie mehr oder weniger verhalten fluchen.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er stieg ein paar Haltestellen vor dem Präsidium in der Shandong Zhonglu aus.
Die frische Luft war himmlisch.
Bus Nr. 71. Wahrscheinlich war Guan mit diesem Bus tagaus, tagein zum Kaufhaus und wieder nach Hause gefahren.
Als Oberinspektor Chen am Abend heimkehrte, seine Uniform auszog und sich auf sein Bett legte, fiel ihm schließlich etwas Tröstliches zu Guan ein: Sie war zwar alleinstehend, aber nicht völlig einsam gewesen, zumindest nicht gegen Ende ihres Lebens. Sie hatte jemanden gehabt, den sie nach zehn Uhr abends noch anrufen konnte. Er hatte nie versucht, Wang, die bei ihren Eltern lebte, so spät anzurufen. Er hatte sie dort nur ein einziges Mal besucht. Ihre Eltern waren alt, prüde und konservativ und deshalb nicht besonders freundlich, denn sie wußten, daß er sich um ihre verheiratete Tochter bemühte.
Was Wang wohl gerade machte? Er hätte sie zu gerne angerufen und ihr erklärt, daß seine erfolgreiche Karriere zwar recht befriedigend erscheinen mochte, jedoch kaum mehr als ein Trostpreis sei für den Mangel an persönlichem Glück in seinem Leben.
13
ES WAR SAMSTAG, ein weiterer klarer schöner Tag Ende Mai. Die Yus besuchten den »Garten der Augenweide« in Qingpu.
Peiqin war in ihrem Element. Sie hatte das Buch Der Traum der Roten Kammer dabei. Für sie war ein Traum in Erfüllung gegangen.
»Schau mal, hier ist der Bambushain, wo sich Xiangyuan auf der steinernen Bank ausruht und Baoyu sie heimlich beobachtet«, sagte sie und blätterte in ihrem Buch, bis sie zu diesem Teil der Geschichte gelangte.
Auch Qinqin war bestens aufgelegt. Er rannte hm und her und versuchte, den Weg durch ein traditionelles chinesisches Gartenlabyrinth zu finden.
»Mach ein Foto von mir vor dem Zinnoberpavillon«, sagte sie.
Yu war bedrückt, aber Peiqin zuliebe versuchte er, dies zu verbergen, denn er wußte, wie sehr ihr dieser Garten am Herzen lag. Er richtete den Fotoapparat auf sie. Eine Touristengruppe kam vorüber und machte ebenfalls vor dem Pavillon halt. Der Reiseleiter hielt einen Vortrag über dieses architektonische Wunder. Peiqin lauschte gebannt und achtete in diesem Augenblick gar nicht mehr auf Yu. Er stand inmitten der Gruppe und nickte automatisch, hing jedoch seinen eigenen Gedanken nach.
Im Büro stand er unter ziemlichem Druck. Es war unangenehm, mit Kommissar Zhang zusammenzuarbeiten, und nach dem letzten Gruppentreffen war es noch schwieriger geworden. Mit Oberinspektor Chen war zwar besser auszukommen, aber er hielt offensichtlich noch immer irgendwelche Trumpfkarten vor ihm versteckt. Der Parteisekretär war zu Zhang und Chen recht freundlich, doch auf Yu lud er den ganzen Druck ab, und dabei war er nicht einmal der Ermittlungsleiter, ganz abgesehen davon, daß er für alle anderen Fälle der Abteilung de facto die Hauptverantwortung trug.
Seine neuerlichen Nachforschungen in der Taxizentrale und den Reisebüros hatten nichts ergeben. Die ausgeschriebene Belohnung für Informationen über verdächtige Fahrzeuglenker, die sich in der fraglichen Nacht in der Nähe des Kanals aufgehalten hatten, hatte ebenfalls noch keine Hinweise erbracht.
Chen war mit seiner Kaviartheorie bislang auch nicht weitergekommen.
»Der Garten ist im 20. Jahrhundert erbaut worden. Er folgt den Schilderungen aus dem Traum der Roten Kammer, dem aus dem 18. Jahrhundert stammenden und seit Mitte des 19. Jahrhunderts meistgelesenen chinesischen Klassiker.« Der Reiseführer sprach gewandt, in einer Hand hielt er eine Zigarette mit einem langen Filter. »Die Gitterfenster, Türen und Holzsäulen entsprechen genau dem klassischen Vorbild, und auch im Mobiliar zeigen sich die Gepflogenheiten der damaligen Zeit. Sehen Sie sich diese Bambusbrücke an und auch die Farngrotte. Wir befinden uns hier mitten in dem Roman.«
Der Garten war bei den Freunden des Romans ein beliebter Ausflugsort. Peiqin hatte schon so lange davon gesprochen, ihn einmal zu besuchen, daß dieser Ausflug nun einfach nicht mehr hatte aufgeschoben werden können.
Peiqin war
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