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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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Karriereleiter steil nach oben.
    Es machte überall einen riesigen Unterschied, aus welcher Familie man kam, aber nirgendwo war er so groß wie im China zu Beginn der neunziger Jahre.
    Doch jetzt hatte Wu Xiaoming einen Mord begangen. Davon war Yu überzeugt.
    An die Decke starrend, glaubte Yu, sich genau vorstellen zu können, was in der Nacht vom 10. Mai geschehen war: Wu hatte angerufen, Guan war in sein Haus gekommen, sie hatten Kaviar gegessen und miteinander geschlafen, dann hatte Wu sie stranguliert, ihre Leiche in den Müllsack aus Plastik gesteckt, den Sack zum Kanal gebracht und ihn dort hineingeworfen …
    »Deinem Oberinspektor gehen eine Menge Dinge durch den Kopf«, sagte Peiqin und kuschelte sich an ihn.
    »Du bist ja noch wach«, sagte er erschrocken. »Ja, das stimmt. Der Fall ist schwierig, weil ein paar wichtige Leute darin verwickelt sind.«
    »Vielleicht ist da auch noch etwas anderes.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich bin eine Frau«, sagte sie, und ihre Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. »Ihr Männer bemerkt nicht, was im Gesicht des anderen zu lesen ist. Ein gutaussehender Oberinspektor und Dichter, von dem auch viel veröffentlicht wird, müßte doch ein umworbener Junggeselle sein, aber er sieht einsam aus.«
    »Hast du auch etwas für ihn übrig?«
    »Nein, ich habe doch schon so einen wunderbaren Mann.«
    Er nahm sie wieder in den Arm.

 
    20
     
    FRÜH AM NÄCHSTEN MORGEN fanden sich Hauptwachtmeister Yu und Oberinspektor Chen bei der Shanghaier Redaktion des Roten Stern ein. Die Redaktion war in einem viktorianischen Gebäude an der Kreuzung Wulumuqi Lu/Huaihai Zhonglu untergebracht, einer der besten Lagen in Shanghai. Kein Wunder, dachte Yu, wenn man ihren politischen Einfluß bedenkt. Roter Stern war die Stimme des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, jeder Mitarbeiter der Zeitschrift schien sich des Prestiges seiner Stellung äußerst bewußt zu sein.
    An einem Empfangstisch aus Marmor saß ein junges Mädchen in einem eleganten Kleid mit großen Tupfen. Ganz in ihren Laptop vertieft, hämmerte sie bei ihrer Ankunft einfach weiter auf die Tastatur ein. Als sich die beiden Polizeibeamten vorstellten, zeigte sie sich kaum beeindruckt. Sie erklärte ihnen, daß Wu nicht in seinem Büro sei, und fragte gar nicht, warum sie ihn sprechen wollten.
    »Sie wissen doch, wo die Villa Zhou ist – die heutige Villa Wu natürlich«, sagte sie. »Wu arbeitet heute zu Hause.«
    »Er arbeitet zu Hause?« fragte Yu.
    »Das ist bei uns nichts Ungewöhnliches.«
    »Alles ist ungewöhnlich beim Roten Stern. «
    »Rufen Sie ihn besser erst einmal an«, sagte sie. »Wenn Sie möchten, können Sie unser Telefon benutzen.«
    »Nein danke«, sagte Yu. »Wir haben ein Autotelefon.«
    Draußen wartete kein Wagen auf sie, geschweige denn ein Autotelefon.
    »Ich hab’s nicht ausgehalten«, knurrte Yu. »Die war so von oben herab.«
    »Sie haben recht«, sagte Chen. »Besser wir melden uns nicht vorher bei Wu an, dann können wir ihn überrumpeln.«
    »Eine überrumpelte Schlange wird zurückbeißen«, sagte Yu. »Die Villa Wu auf der Hengshan Lu ist nicht weit entfernt. Wir können zu Fuß hingehen.«
    Sie kamen bald zum mittleren Abschnitt der Hengshan Lu, wo sich die Villa der Wus hinter hohen Mauern erhob. Ursprünglich hatte sie einem Tycoon namens Zhou gehört. Als 1949 die Kommunisten an die Macht kamen, floh die Familie Zhou nach Taiwan, und Wu Bings Familie bezog das Haus.
    Die Villa und das sie umgebende Gebiet um die Hengshan Lu waren ein Teil von Shanghai, den Yu, obwohl er in der Stadt schon so lange lebte, bisher nicht kannte. Yu war am unteren Ende des Bezirks Huangpu geboren und aufgewachsen, wo hauptsächlich Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen lebten. Als der Alte Jäger in den fünfziger Jahren, der Zeit des kommunistischen Egalitarismus, dort hinzog, hielt man diesen Bezirk für so gut wie jeden anderen in Shanghai. Wie die anderen Kinder, die dort in den kleinen Gäßchen umherrannten und auf den schmalen gepflasterten Pfaden spielten, glaubte Yu, daß er in seinem Wohnquartier alles hatte, was man brauchte, obwohl er wußte, daß es bessere Viertel in Shanghai gab, wo die Straßen breiter und die Häuser größer waren.
    In seinen Jahren auf der Mittelschule, oft nach einer Stunde mit den Worten des Großen Vorsitzenden, gesellte sich Yu zu einer Gruppe Schulkameraden und durchstreifte mit ihnen die verschiedenen Viertel in der Stadt. Manchmal

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