Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
gefühlsmäßig Distanz zu ihr zu halten, und sie wußte, daß er nicht davon
abzubringen sein würde.
»Nein«, sagte er und verschränkte
seine Arme - eine weitere Barriere, dachte Annie. »Es können Tage
vergehen, bis sich wieder etwas ereignet. Wie kommt ihr mit den Kranken
zurecht?«
Annie seufzte müde. »Ich glaube, das
Schlimmste ist überstanden«, berichtete sie, »obwohl der liebe Himmel weiß,
daß ich kein Fachmann bin. Mehrere unserer Patienten sind wieder gesund und in
ihre Dörfer zurückgekehrt, so daß die Kapelle nicht mehr so überfüllt ist.«
Auf das Klappern von Pferdehufen
drehte Rafael sich um und schaute zu, wie eine weitere Gruppe von Gästen in die
Burg einritt. »Oh, wäre diese verdammte Hochzeit doch bloß schon vorbei«,
murmelte er mehr zu sich selbst als zu Annie. »Man sollte meinen, die Leute
wären vernünftig genug, zu Hause zu bleiben in Anbetracht der Lage hier, aber
statt dessen riskieren sie ihre fetten, dummen Hälse für reichlich fließenden
Wein und Zuckerkuchen.«
»Gelegenheiten zum Feiern sind
heutzutage selten in Bavia«, bemerkte Annie leise. »Da ist es verzeihlich, daß
sie lieber feiern als trauern wollen.«
Rafael machte keine Anstalten,
aufzustehen und seine Gäste zu begrüßen. »Welch eine Ironie des Schicksals«,
sagte er, und seine Stimme klang ganz fremd dabei, »daß in der gleichen Woche
eine Hochzeit und eine Hinrichtung stattfinden.«
Annie starrte ihn an. Sie wußte
natürlich von Peter Maitlands Urteil, hatte jedoch nicht damit gerechnet, daß
es so schnell vollstreckt würde. »Aber Mr. Maitland ist doch geflohen, als
Jeremy Covington die Zellen öffnete. Kathleen sagte mir ...«
»Er ist wieder eingefangen worden«,
unterbrach Rafael sie. »Und wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest ich
muß den Bau des Schafotts veranlassen.« Er wäre gegangen, wenn Annie ihn nicht
am Arm zurückgehalten hätte.
»Rafael, du kannst jetzt kein
Schafott errichten lassen nicht ausgerechnet jetzt, es würde die Hochzeit
ruinieren! Denk doch an Phaedra - was glaubst du, wie sie sich fühlen würde!«
Sein Lächeln war kalt und gehörte,
wie seine Stimme, zu jemandem, dem Annie noch nie begegnet war. »Du scheinst
vergessen zu haben«, sagte er, »daß ich noch immer der Herrscher dieses
gottverlassenen Landes bin. Ich kann tun, was mir beliebt, Miss Trevarren. Und
fürchte, das Zartgefühl meiner Schwester ist im Augenblick mein geringstes Problem.«
Damit wandte Rafael St. James, Prinz
von Bavia, sich ab und verschwand in der großen Halle.
Annie schaute ihm einen Moment lang
wütend nach und ging dann in die Kapelle. Sie war verblüfft, als sie dort Phaedra
antraf, die etlichen Bediensteten und einem halben Dutzend Soldaten Befehle
erteilte.
»Bring diese Leute hinaus«,
verlangte sie und wies mit einer Bewegung ihres Taschentuchs auf sämtliche
Patienten in der Kapelle. »Alle. Und dann möchte ich Böden und Bänke geschrubbt
und den Raum gut gelüftet sehen.«
Annie näherte sich ihr langsam.
»Phaedra?«
Die Prinzessin drehte sich mit einem
nervösen Lächeln um. »Hallo, Annie.« Stirnrunzelnd berührte sie den Arm ihrer
Freundin und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Wie geht es dir? Du liebe
Güte, nach allem, was gestern nacht geschehen ist, würde jede andere als du
zitternd in einer Ecke kauern ...«
»Es ist mir nichts passiert,
Phaedra«, fiel Annie ihr ins Wort. »Wohin läßt du diese Leute bringen?«
Phaedras Lächeln war wieder da, viel
zu strahlend und viel zu unsicher. Die Prinzessin war nicht sie selbst heute,
obwohl Annie vermutete, daß das normal war bei all dem Chaos um sie herum.
»Weg«, antwortete sie nüchtern. »In fünf Tagen soll in der Kapelle die Trauung
stattfinden. Ich kann nicht zulassen, daß es hier wie in einem Pesthaus
riecht.«
Annie schloß für einen Moment die
Augen. »Natürlich nicht«, sagte sie dann nach einer kurzen Pause. »Aber wo
willst du sie unterbringen?«
Ihr hübsches Gesicht ein Bild
aufrichtiger Verwirrung, winkte Phaedra einen der Soldaten herbei. »Verzeihen
Sie, aber wohin genau werden wir diese armen Leute bringen?«
Annie biß sich auf die Lippen und
wartete. Der Soldat errötete bei der Frage der Prinzessin, antwortete jedoch
mit bewundernswerter Zurückhaltung. »Wir hatten erwartet, daß Sie uns das
sagen, Hoheit.«
»Ach Gott«, murmelte Phaedra und
betupfte sich mit dem Taschentuch die Stirn. Dann richtete sie ihren verstörten
Blick auf Annie. »Wohin sollen wir
Weitere Kostenlose Bücher