Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
Gehen von
Gesinde, Händlern und Boten zu überwachen. Er ließ die verkleidete Prinzessin
und ihre Freundin mit einer herablassenden Geste das Tor passieren.
Annie war natürlich froh, daß ihr
Abenteuer nicht zu diesem frühen Zeitpunkt schon verhindert wurde, aber es beunruhigte
sie auch zu sehen, wie einfach es war, das Palastgelände zu verlassen. Ganz
ohne Zweifel würde ein kluger Mensch den Palast auch ebenso mühelos betreten können.
Phaedra nahm Annies Arm und zog sie
durch eine schmale Gasse, die parallel zur Straße vor der fürstlichen Residenz
verlief. »Trödel nicht!« zischte sie. »Wir mögen diesen Narren am Tor
getäuscht haben, aber falls Chandler und Felicia uns von einem Fenster aus
erblicken, ist es aus mit unserem Abenteuer, meine Liebe. Und glaub mir, es
wäre besser, wenn uns die Rebellen schnappten, als wenn Rafael etwas von
unserer Eskapade erfahren würde!«
Besorgt schaute Annie sich nach den
Fenstern des Palastes um. Sie wünschte sich genausosehr einen freien Nachmittag
wie Phaedra und hatte nicht die geringste Angst vor Rafael. Im Gegenteil —
eigentlich wünschte sie sich sogar eine Begegnung mit dem Prinzen herbei, um
ihn zu sehen, zu berühren und sich zu überzeugen, daß er noch am Leben war.
Und doch, wenn sie an jenen kargen
Raum im obersten Geschoß des Palastes dachte, regte sich ihr Gewissen. Annie
hatte es noch nie an etwas gemangelt, aber man hatte sie gelehrt, Mitgefühl und
Respekt für jene zu empfinden, die nicht so glücklich waren.
Aber wie Phaedra ihr bereits
versichert hatte, würden sie die Kleider und Tücher zurückbringen und einige
Münzen für die Mädchen hinterlassen. Es wurde also kein echter Schaden
angerichtet.
Hoffte sie.
Sie erreichten den Marktplatz über
eine enge, gewundene Gasse und mieden die breite, elegante Allee, die
Dienstboten nicht beschritten.
Annies Herz pochte vor Aufregung,
als sie den Markt erblickte, denn er vibrierte nur so vor Geräuschen und
Gerüchen. Sie mußte lächeln, als sie sich an die Erzählung ihrer Mutter über
einen ähnlichen Ort erinnerte, einen Souk im Königreich von Riz, und was
ihr dort geschehen war.
Phaedra stieß Annie in die Rippen.
»Halt den Bli gesenkt«, sagte sie leise. »Dienstboten gaffen nicht.«
Widerstrebend senkte Annie den
Blick, aber trotzdem entging ihr nichts von der Umgebung, und während sie an
den einzelnen Ständen vorbeigingen, bewunderte sie die Auslagen, die angefangen
von importiertem Obst bis hin zu Lagen farbenfroher Stoffe die
unterschiedlichsten Waren feilboten. An einem Stand kaufte sie trotz Phaedras
geflüstertem Protest eine hübsche kleine Puppe mit Porzellangesicht und rosa
Kleid und Häubchen. Der Händler war froh über den Verkauf und schien nicht im
mindesten argwöhnisch, fand Annie. Trotz allem jedoch, um Phaedra nicht zu
beunruhigen, steckte sie die Puppe in ihren Korb und bedeckte sie mit einer
Stoffserviette.
Phaedra kaufte ein halbes Dutzend
reife Orangen und gab sich keine Mühe, sie zu verbergen. Dienstboten kauften
schließlich alle Arten von Lebensmitteln für ihre Herrschaften.
Einige Straßen vom Markt entfernt
befand sich ein Platz, den elegante Läden säumten. Phaedra und Annie blieben
vor jedem Fenster stehen, bewunderten Kleider und Hüte, Schuhe und
Sonnenschirme, Bücher und Gemälde. Trotz des unsicheren politischen Klimas in
Bavia schienen die Händler gute Geschäfte zu tätigen.
Die beiden Abenteurerinnen waren
bereits wieder auf dem Rückweg zum Palast, der sie über den Marktplatz führte,
als ihnen ein junger Mann auffiel, der auf einer Holzkiste vor einem Brunnen
stand. Er sprach mit hitzigen Worten zu einem kleinen, aber aufmerksamen
Publikum und schrie etwas von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das
Wesentliche seiner Botschaft griff wie eine eisige Hand nach Annies Herz.
Der Mann wollte Rafael nicht nur
abgesetzt, sondern sogar am Galgen sehen. Öffentlich hingerichtet.
Annie vergaß, daß sie sich als
Dienstmädchen ausgab, und stürzte auf ihn zu, in der vollen Absicht, ihn und
seine gesamt Zuhörerschaft über den wahren Charakter des Prinzen aufzuklären.
Aber Phaedra packte sie am Arm und zerrte sie zurück. Bevor Annie sich
losreißen oder auch nur protestieren konnte, entstand ein lautstarkes Getöse am
Ende der Straße, und plötzlich war der Markt gefüllt mit berittenen Soldaten.
Sie wurden angeführt von einem
blonden Mann mit auffallend dunklen Augen. Selbst in all diesem Chaos hatte
Annie das Gefühl, den Mann
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