Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
außerdem hegte sie noch immer Hoffnungen, eine wunderschöne Nacht
mit Rafael zu verbringen.
Nachdem Kathleen gegangen war, blieb
Annie am Feuer sitzen und ließ die Ereignisse des Abends noch einmal an sich
vorüberziehen. Er hatte schlimm begonnen, mit Leutnant Covingtons Verhaftung
und Felicias Ausbruch, doch das Tanzen war herrlich gewesen, und Rafael hatte
sie geküßt ...
Sie lehnte den Kopf auf die
Sesselkante, seufzte und schloß die Augen. Nach einer Weile schlief sie ein,
und ihre Träume führten sie in den Ballsaal zurück. Als sie jedoch erwachte,
erschrak sie heftig.
Das Feuer war erloschen, der Raum
war dunkel bis auf einen Streifen Mondlicht, der durch die Terrassentüren fiel.
Entweder war Rafael nicht zu ihr gekommen, oder sie hatte im Schlaf sein
Klopfen überhört ...
Annie erhob sich mit steifen
Gliedern. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, zu Rafael zu gehen, falls er
nicht zu ihr kam, merkte sie jetzt, daß ihr dazu der Mut fehlte. Andererseits
jedoch hatte sie mit eigenen Augen den Zustand seines Landes gesehen, nicht nur
auf dem Marktplatz, sondern auch am Tag ihrer Ankunft im Palast, als der
aufgebrachte Pöbel sie alle mit Flüchen und Steinwürfen traktiert hatte. Die
Lage war kritisch und Rafael die Zielscheibe allgemeinen Hasses. Vielleicht
würde die heutige Nacht die einzige bleiben, die sie je miteinander erbringen
konnten ...
Resolut stieg sie ins Bett, streckte
sich aus und deckte sich zu, nur um gleich darauf wieder aufzuspringen. Sie
hatte Angst, daß Rafael anklopfen Könnte, noch mehr Angst jedoch, daß er es
unterlassen könnte. Was diesen Mann anging, mußte Annie sich eingestehen, war
ihr Verhalten ausgesprochen unvernünftig.
Die Mehrzahl junger Frauen aus guten
Familien wachten eifersüchtig über ihre Tugend und verschenkten, was die Nonnen
in St. Apasia als ihre >kostbare Reinheit< bezeichneten, erst dann, wenn
der entsprechende Mann bereits ihr Gatte war oder es bald sein würde. Annie
zweifelte nicht daran, daß sie ein anständiger Mensch war, aber sobald es sich
um Rafael handelte, schien sie keinen Funken Verstand mehr zu besitzen.
Während sie noch über uie
unglückseligen Folgen dieser Erkenntnis nachdachte, ertönte ein leises Klopfen
an ihrer Zimmertür.
Annie verharrte mitten in der
Bewegung, hörte auf zu denken und zu atmen.
Ein zweites Klopfen erklang, diesmal
sogar noch leiser als das erste, und dann öffnete sich die Tür und Rafael war
da.
Er hatte Rock und Krawatte abgelegt
und trug nur noch die dunklen Hosen und das weiße Hemd, die er auf dem Ball
getragen hatte. Das Hemd war auf der Brust geöffnet, und Annie war fasziniert
von dem weichen dunklen Raum, den
sie dort sah.
Der Prinz trat über die Schwelle und
schloß hinter sich die
Tür.
Einen langen Moment schaute er Annie
nur an, aus Augen, die wie Sterlingsilber glitzerten, und seine Mundwinkel
verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. »Hast du es dir anders überlegt,
Annie?« erkundigte er sich ruhig. »Oder wirst du heute nacht das Bett mit mir
teilen, wie du versprochen hast?«
Elf
Hast du es dir anders überlegt, Annie?
Oder wirst du heute nacht das Bett mit mir teilen, wie du versprochen hast?
Annie konnte Rafael nur in freudigem
Erschrecken anschauen. Im Zimmer war es dunkel, abgesehen von dem schwachen
Schein der Nachttischlampe und dem sanften Licht des Mondes. Rafael
verschränkte abwartend die Arme; die Entscheidung, das wußte Annie, lag bei
ihr. So unvernünftig es auch schien angesichts der weitreichenden Folgen, die
eine solche Liebesnacht nach sich ziehen konnte, wußte sie, daß die körperliche
Vereinigung mit Rafael ebensosehr ein Teil ihres Schicksals war wie ihr
nächster Herzschlag. Und aus diesem Grund blieb ihr gar keine andere Wahl.
»Ich habe es mir nicht anders
überlegt«, antwortete sie, als sie endlich ihre Stimme wiederfand.
Da reichte Rafael ihr die Hand, und
sie ging zu ihm und hob ihm vertrauensvoll ihr Gesicht entgegen.
Er zog Annies Hand an seine Lippen
und küßte sie. Mit geschlossenen Augen murmelte er ihren Namen.
Annie lehnte die Stirn an seine
Schulter, nahm seinen Duft und seine Nähe in sich auf, erfüllt von einer
überwältigenden Süße und dem klaren Bewußtsein, daß jeder Augenblick kostbar
war. »Mein Liebster«, flüsterte sie an seiner warmen Brust.
Rafael zeichnete ihre Lippen mit der
Spitze seines Zeigefingers nach, und selbst diese einfache Berührung löste ein
versengendes Feuer in ihren Adern aus. Er senkte den
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