Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
legte, um
sie seinen Herzschlag spüren zu lassen. »Alles, was du jemals von mir haben
wirst, Annie? Du bist so jung, so schön — ganze Legionen von Männern werden
dich begehren, so viele von ihnen, daß dir die Auswahl schwerfallen wird.«
Sie konzentrierte sich auf das
Pochen seines Herzens und schüttelte den Kopf. »Nein, Rafael. Für mich kann es
nur einen Geliebten geben, und der bist du.«
Er hielt noch immer ihre Hand, hob
sie wieder an die Lippen und küßte sie gedankenverloren. Sein Atem war warm
und ließ Annie erschauern.
»Geh wieder in den Saal zurück,
Annie«, sagte er heiser. Angst, daß er es sich anders überlegt haben könnte,
durchzuckte sie. »Rafael ...«
Er neigte den Kopf und küßte sie
sanft, aber leidenschaftlich. »Geh«, wiederholte er dann.
Annie tat, wie er von ihr verlangte,
tanzte, trank Champagner und beobachtete Rafael den ganzen verbleibenden Abend
lang. Sie wußte, daß es Wahnsinn war, sich derart verzweifelt eine Verführung
herbeizuwünschen, vor allem angesichts all dessen, was bereits vorgefallen war
und was noch kommen würde, und doch steigerte sich ihr Verlangen mit
fortschreitender Nacht ins Unermeßliche.
Um Mitternacht formten die Gäste
einen großen Kreis, und Phaedra und Chandler tanzten einen Ehrentanz in ihrer
Mitte. Phaedra lächelte, und ihre makellose Haut war rosig vor Erregung und vom
Champagner. Ihr Bräutigam hingegen wirkte erstaunlich nüchtern und schaute
immer wieder zur Tür hinüber.
Die Gäste applaudierten nach dem
Walzer, und als Annie Rafael in der Menge suchte, fiel ihr Blick auf Edmund
Barrett. Der Kommandant der Leibgarde lehnte mit verschränkten Armen an einer
Wand und beobachtete Phaedra, wie fast alle anderen auch. Der Ausdruck auf
seinem Gesicht jedoch verriet Grimm und Trauer, und während Annie noch zu ihm
hinübersah, stieß er sich von der Wand ab und verließ mit hängenden Schultern
den Saal.
Annie wünschte der Prinzessin eine
gute Nacht, wie es der Brauch bei derartigen Anlässen erforderte, wehrte eine
Reihe hoffnungsvoller Tanzpartner ab, während sie den Saal durchquerte, und zog
rasch ihre Schuhe aus, als sie in der Halle war. Dann, die zierlichen
Samtschuhe in der Hand, eilte sie die Treppe hinauf.
Wie schon den ganzen Abend seit
ihrer Unterhaltung mit Rafael im Garten fragte sie sich, ob er es sich anders
überlegt haben mochte und doch nicht wie besprochen zu ihr kommen würde. Für
den Fall, daß er es nicht tat, war sie fest entschlossen, zu ihm zu gehen.
In ihrem Zimmer legte sie mit
Kathleens Unterstützung ihr Ballkleid und ihr Korsett ab. Nur mit Unterrock und
einem dünnen Seidenhemd bekleidet, wärmte sie am Feuer ihre Zehen, während
Kathleen heiße Schokolade in eine der am Rand gesprungenen Tassen einschenkte.
»Sie müssen ganz wunde Füße vom
Tanzen haben, Miss«, bemerkte Kathleen amüsiert.
Annie nickte und betrachtete
stirnrunzelnd die Tasse. »Welch seltsame Mischung aus Luxus und Armut an diesem
Ort herrscht«, sagte sie verwundert. »Sie benutzten zersprungenes Porzellan
wie diese Tasse hier und haben nicht ein Gemälde an den Wänden hängen. Die
Fußböden sind kahl, und ich habe nirgendwo etwas gesehen, was diesem Palast zur
Zierde dienen könnte. Und doch haben wir heute abend aus Champagnergläsern aus
feinstem Kristall getrunken — sie hätten aus Diamanten geschliffen sein
können, so wie sie im Kerzenschein gefunkelt haben ...«
»Die St. James' haben den Ballsaal
immer gut in Ordnung gehalten«, unterbrach Kathleen sie in liebevollem Ton. »Es
ist der einzige Raum, in dem sie noch Feste geben. Wir haben oft Herzöge und
Herzoginnen aus England zu Besuch, und manchmal sogar Könige und Königinnen aus
kleineren Nationen. Wir müssen sie schließlich irgendwo unterbringen, nicht?«
Annie lächelte. »Ja«, stimmte sie
zu, »das müssen Sie.«
Kathleen seufzte und ging zu Annies
Bett, um die Decke zurückzuschlagen. »Die Königin sagt, wir hätten heute nacht
den letzten großen Ball gesehen. Sie wird nicht mehr lange aufrechtzuerhalten
sein, diese Lebensweise.«
»Und das ist vielleicht am besten
so«, stimmte Annie zu. »Niemand könnte es bezweifeln nach den Vorfällen auf dem
Marktplatz, und doch stimmt es mich traurig. Ohne Prinzen und Prinzessinnen,
Königen und Königinnen, Palästen und Burgen gäbe es auch keine Märchen mehr,
nicht wahr?«
Annie spürte, wie ihr wieder die
Tränen kamen, doch sie gab dem Impuls nicht nach. Sie hatte genug geweint für
heute, und
Weitere Kostenlose Bücher