Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
Gästen zurück. Gute Nacht, Annie.«
Sie nickte stumm, und er ging
hinaus.
Kathleen stellte keine Fragen,
sondern beschäftigte sich damit, Annies Bettdecke zurückzuschlagen, ihre Kissen
aufzuschütteln und das Feuer im Kamin zu schüren. Annie war dankbar für ihr
Schweigen. Ihre Begegnung mit Rafael hatte sie innerlich stark aufgewühlt, und
sie brauchte eine Weile, um sich zu beruhigen.
Im Verlauf der nächsten Tage trafen
noch mehr Hochzeitsgäste ein, während in der großen Halle die Auswahl der
Geschworenen fortgesetzt wurde. Annie beschäftigte sich im Dorf und in der
Kapelle und versuchte, nicht zu intensiv über den Tag nachzudenken, an dem sie
gezwungen sein würde, gegen Leutnant Covington und seine Männer auszusagen.
Und wenn diese Prüfung dann vorüber war, würde Phaedras Hochzeit stattfinden,
und sobald die Prinzessin verheiratet war, würde Annie zu ihrer Familie
heimgeschickt werden.
Um Rafael nie wiederzusehen, aller
Wahrscheinlichkeit nach.
Doch bis dahin wollte Annie die Last
der Sorge ihres Prinzen nicht erhöhen. Sie aß regelmäßig, obwohl sie nie etwas
vom Essen schmeckte und fünf Minuten später nicht hätte sagen können, was sie
zu sich genommen hatte, und achtete darauf, sich nachmittags in ihrem Zimmer
eine Stunde auszuruhen. Jeden Abend, nach einer einsamen Mahlzeit an ihrem
Kamin, ging sie um Punkt acht zu Bett und war innerhalb weniger Minuten
eingeschlafen.
Vier Tage später begann die
Gerichtsverhandlung, und Annie war gezwungen, ihre Aufgaben Kathleen und den
anderen Frauen zu überlassen, die sich nicht in der großen Halle drängten, um
dem Schauspiel beizuwohnen. Leutnant Covington und vierzehn andere Männer
wurden in Ketten vorgeführt und auf eine Reihe von Bänken plaziert. Die
Geschworenen saßen ihnen gegenüber, während die Zuschauer sich im Hintergrund
des großen Raumes hielten. Die Dorfbewohner hatten einen Richter aus ihren
Reihen ausgewählt, und er saß an einem kleinen Tisch auf einem Podium, von dem
aus er alles überschauen konnte. Rafael und Mr. Barrett standen in einiger
Entfernung, mit verschränkten Armen und ausdruckslosen Mienen, und beobachteten
die Vorgänge.
Annie zwang sich, Leutnant Covington
anzusehen, da sie wußte, daß es auf lange Sicht ohnehin nicht zu verhindern
sein würde. Er war sehr blaß, und seine Kleidung war zerknittert, aber es war
offensichtlich, daß weder er noch die anderen Angeklagten Hunger gelitten
hatten oder mißhandelt worden waren. Als hätte er Annies Blick gespürt, wandte
er den Kopf, um sie anzusehen, und sie nahm eine solche Kälte in seinen Augen
wahr und einen solchen Zorn, daß es ihr kalt über den Rücken lief.
Sie war die erste Zeugin, die
aufgerufen wurde, und empfand sowohl Erleichterung wie Furcht, als sie
vortrat. Da sie gearbeitet hatte, trug sie ein schlichtes braunes Kleid, das
Kathleen in einem Vorratsschrank gefunden hatte, und ihr Haar war zu einem
losen Zopf geflochten. Sie war keine Adlige und fühlte sich den Dorfbewohnern
aufrichtig verwandt.
Leutnant Covingtons Blick enthielt
eine stumme Drohung, die Annie wie eine Ohrfeige empfand, aber sie war sich
auch Rafaels Nähe bewußt und seiner Unterstützung.
Mr. Barrett trat vor, eine Bibel in
der Hand, und forderte Annie auf zu schwören, daß sie die Wahrheit sprechen werde,
nichts als die reine Wahrheit. Sie tat es mit bebender, aber klarer Stimme und
ließ sich dann auf den Stuhl nieder, der für sie bereitstand, in der Hoffnung,
daß niemand das Zittern ihrer Knie bemerkt hatte.
Mr. Barretts Stimme war ruhig und
tief, und Annie klammerte sich daran fest wie ein Ertrinkender an einem Rettungsring.
Er bat sie, die Vorfälle auf dem
Marktplatz zu beschreiben, und das tat sie, mit fester Stimme, obwohl ihr
schrecklich übel dabei wurde. Die Geschworenen, die Zuschauer und die
Gefangenen verschwammen zu einem dichten, pochenden Nebel, in dem sie nicht
einmal mehr Rafael erkennen konnte.
Nachdem sie ihren Bericht beendet
hatte, stellte Mr. Barrett ihr einige kurze Fragen und entließ sie dann. Annie
stand auf, straffte die Schultern und schüttelte den Kopf, als Lucian aus dem
Nebel trat, um ihr seinen Arm zu bieten. Es war eine schwierige Erfahrung gewesen,
aber Annie war entschlossen, sie ohne Hilfe anderer durchzustehen.
Langsam ging sie aus der Halle, ohne
Phaedras Aussage abzuwarten. Im Hof setzte sie sich auf die Bank neben dem
Springbrunnen und hob ihr Gesicht in den gleißenden Sonnenschein.
Nur wenige Minuten verstrichen,
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