Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
und Mr. Barrett im Saal
zurückblieben, zögerte Annie, denn obwohl sie es unpassend gefunden hätte, sich
dem Prinzen jetzt zu nähern, konnte sie sich auch nicht dazu überwinden zu
gehen. Es mochte nichts als romantische Einbildung ihrerseits sein, aber
irgendwie hatte sie das Gefühl, daß ihre Gegenwart Rafael ermutigte und ihm
sogar Kraft verlieh.
Als Kathleen sah, daß ihre Herrin
sich nicht rührte, holte sie Stühle für sie beide. Schweigend saßen sie dabei,
während der Richter und die Geschworenen sich berieten. Rafael und Mr. Barrett
standen in der Nähe und hörten schweigend zu.
Eine Stunde später stand das Urteil
fest, und obwohl Annie und Kathleen zu weit entfernt saßen, um zu hören, was
beschlossen worden war, fiel ihnen Rafaels grimmige Miene auf, mit der er das
Urteil vernahm. Er nickte zustimmend, und dann löste sich die kleine Gruppe
auf und verließ den Saal.
Als Rafael sich ihr näherte, stand
Annie auf.
Kathleen drückte ihre Hand. »Ich
werde in der Kapelle sein, Miss«, sagte sie und eilte ebenfalls hinaus.
Annie schluckte und schaute Rafael
prüfend ins Gesicht. Mit größter Wahrscheinlichkeit wäre es nie zu einem Prozeß
gekommen, wenn sie und Phaedra nicht an jenem Nachmittag unerlaubt den
Marktplatz aufgesucht hätten. Annie bereute es jetzt fast ein wenig, obwohl die
Verwüstung und der Mord bestimmt auch ohne sie stattgefunden hätten. In diesem
Fall jedoch wären Covington und die anderen straflos davongekommen.
Endlich stand Rafael vor ihr. Sie
wollte ihn berühren, widerstand jedoch dem Wunsch und wartete schlicht, bis er
etwas sagte.
»Covington und die meisten anderen
Männer werden sechs Monate im Kerker bleiben — oder bis die Burg von den
Rebellen eingenommen wird«, sagte er mit ernster, hohler Stimme. »Maitland wird
für den Mord an dem Studenten zum Tod durch Erhängen verurteilt werden.«
Annie schloß für einen Moment die
Augen vor den Bildern, die ihre Phantasie ihr eingab, aber es nützte nichts.
Sie konnte sich Maitland mit Leichtigkeit auf dem Schafott vorstellen, und das
Bewußtsein, daß Rafael für sich praktisch das gleiche Schicksal erwartete,
machte die Vorstellung noch viel schlimmer.
Obwohl sie noch nie mit Rafael über
seine Einstellung zur Todesstrafe gesprochen hatte, spürte sie, daß er
ernsthafte Bedenken hatte. »Wirst du zulassen, daß das Urteil vollzogen wird?«
Rafael fuhr sich mit der Hand durch
sein wirres und etwas strähniges Haar, und Annie dachte, daß der Prinz
unbedingt einen Barbier benötigte vor der Hochzeit seiner Schwester. »Ich habe
keine andere Wahl«, sagte er. »Die Entscheidung lag bei den Dorfbewohnern, und
sie haben es so bestimmt.«
Wieder war Annie versucht, Rafael zu
berühren, und diesmal tat sie es und legte ihre Finger sanft an seine Wange.
»Es tut mir leid, daß dies alles geschieht«, flüsterte sie bedrückt. »Es muß
wie ein Alptraum für dich sein.«
Er lächelte schwach und wandte den
Kopf, um ihre Handfläche zu küssen, und sie verspürte wieder das schon vertraute
Prickeln in ihren Gliedern. »Es wird vorübergehen, Annie«, erwiderte er, um
dann zurückzutreten und sie mit einem belustigten Funkeln in den Augen von Kopf
bis Fuß zu mustern. »Ich glaube, im Grunde deines Herzens bist du eine Bäuerin,
Annie, trotz des Reichtums und des Prestiges, die dem Namen Trevarren
anhaften.«
Der Ton, der sich Annies Lippen
entrang, war halb ein Lachen, halb ein Schluchzen; am liebsten hätte sie sich
Rafael an den Hals geworfen und ihn angefleht, Bavia zu vergessen und mit ihr
fortzugehen. Sie wußte jedoch, daß er ihr diesen Wunsch nicht erfüllen konnte,
und verzichtete darauf, ihn zu äußern. »Ja«, sagte sie nur. »Ich glaube, wir
Amerikaner sind alle irgendwo noch Bauern, ob wir Geld haben oder nicht.«
Rafael nahm ihren Arm, und zusammen
gingen sie in den hellen Sonnenschein hinaus und setzten sich auf die Bank beim
Springbrunnen.
»Ich wollte dich nach dem Fieber
fragen«, begann Rafael, und als Annie einwandte, sie sei nicht gefährdet,
brachte er sie mit erhobener Hand zum Schweigen. »Ich weiß, daß ich dich nicht
vom Dorf fernhalten kann«, sagte er mit gutmütiger Resignation. »Ich möchte
nur deine Einschätzung der Lage hören.«
Annie errötete vor Stolz und Freude,
denn ihrer Erfahrung nach baten Männer Frauen nur sehr selten um ihre Ansicht
zu Problemen. Deshalb überlegte sie sich ihre Worte sehr sorgfältig, bevor sie
antwortete. »Das Fieber scheint nicht tödlicher
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