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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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stellen und den Dingen ihren Lauf lassen.«
    Bevor ich etwas erwidern konnte, sagte Sisyphus: »Ich glaube, das würdest du dir gerne ansehen.«
    Der Fischkutter der Gemäßigten war vor der Küste von Neuseeland aufgebracht worden. Die Nachrichtensendung zeigte Menschen in Handschellen, die von einem Patrouillenboot auf einen Hafenkai im Flutlicht getrieben wurden. Ich erkannte ›Fünf‹ alias Giorgio, der mir den Vortrag über die Auflösung gehalten hatte, und ›Zwanzig‹, die sich geweigert hatte, mich mit ihrem Geständnis in meinen Eingeweiden von Bord zu lassen. Die anderen waren nicht dabei.
    Dann kamen Seeleute, die die Leichen auf Bahren trugen. Sie waren zugedeckt, doch der U-Mann ›Drei‹ war mühelos zu identifizieren. Der Journalist sprach von einem Selbstmordpakt. Helen Wu wurde namentlich erwähnt – auch sie war an Gift gestorben.
    Die ersten Szenen der Verhaftung hatten mich mit selbstgerechter Euphorie erfüllt, weil diese Fanatiker nun der Gerechtigkeit zugeführt wurden. Doch dann empfand ich nur noch ein banges Entsetzen, als ich mir vorzustellen versuchte, was in den letzten Augenblicken in ihren Köpfen vorgegangen sein mochte. Vielleicht hatten sie die Berichte über die faselnden Qual-Opfer gesehen und daraus geschlossen, daß die Auflösung unausweichlich war. Oder ihnen hatte sich die verworrene Logik ihrer Aktionen offenbart, womit sie nun der nackten Wahrheit ihres Tuns ins Auge blicken mußten.
    Ich konnte nicht über sie urteilen. Ich wußte nicht, wie ich mich nach oben gekämpft hätte, wenn ich in den Alptraum gestürzt wäre, an den sie geglaubt hatten. Ich hätte mich vielleicht nach Kräften bemüht, die Anthrokosmologie wegzuargumentieren – doch wenn ich versagt hätte, hätte ich dann die Bescheidenheit (oder die mörderische Verantwortungslosigkeit) aufgebracht, mich von den Implikationen zu distanzieren und jedes Eingreifen zu verweigern?
    Von draußen war brüllendes Gelächter zu hören. Auf dem Platz drehte jemand eine Sekunde lang die Musik zu einer wahnsinnigen Lautstärke auf, so daß nur noch die Bässe dröhnten und den Boden erzittern ließen.
     
    Akili konferierte mit anderen Mitgliedern des AK-Zentrums. Jemand zapfte gerade einen WHO-Computer an, um die neuesten inoffiziellen Zahlen über die gemeldeten Fälle von Qual zu erhalten.
    »Neuntausendzwanzig.« Hie wandte sich zu mir um, während hie hörbar nach Luft schnappte. Ich wußte nicht, ob es Angst oder die Berauschung am freien Fall war. »Eine Verdreifachung in zwei Tagen. Glaubst du immer noch, daß es ein Virus ist?«
    »Nein.« Auch ohne diese unerklärliche Ausbreitungsrate wußte ich längst, daß meine Theorie einer mutierten neuroaktiven Biowaffe den Tatsachen nicht mehr standhielt. »Aber trotzdem könnten wir beide uns irren, nicht wahr?«
    »Möglicherweise.«
    Ich zögerte. »Wenn es jetzt so schnell geht, wird dann nach dem Aleph-Moment…?«
    »Ich weiß es nicht. Es könnte den Planeten in einer Woche überschwemmen. Oder einer Stunde. Je schneller, desto besser – um so weniger leiden die Menschen, die es kommen sehen, aber noch nicht verstehen.« Akili schloß die Augen und wollte hein Gesicht in den Händen vergraben – doch dann hielt hie inne und ballte sie zu Fäusten. »Wenn es kommt, sollte es gut werden. Eine Wahrheit, der man nicht entrinnen kann, sollte angenehm sein.«
    Ich rückte näher heran und legte meinen Arm um hie und wiegte unsere Körper langsam hin und her.
     
    Sarah traf kaum eine Minute später als vereinbart ein. Sie setzte sich auf meinen Koffer, und wir sprachen für ihr Kameraauge. Manchmal mußten wir schreien, um uns verständlich zu machen, doch die Software würde den Lärm der Feierlichkeiten auf ein erträgliches Murmeln dämpfen.
    Sarah und ich waren bislang nur flüchtige Bekannte gewesen. Ich hatte insgesamt vielleicht ein Dutzend Mal persönlich mit ihr gesprochen. Doch für mich kam sie aus der Welt jenseits von Stateless und aus der Zeit vor der Konferenz. Sie war ein lebendes Beispiel für jenes Zeitalter der geistigen Normalität. Und es bedurfte nur des leibhaftigen Erscheinens einer dritten Person, um mich wieder mit der Normalität zu versöhnen, um meine Gewißheit wiederherzustellen, daß Akili sich täuschte. Qual war eine weltliche Plage, nicht anders als Cholera. Das Universum war menschlichen Erklärungsversuchen gegenüber gleichgültig. Die Gesetze der Physik waren so fest, wie sie schon immer gewesen waren – bis hinunter zum

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