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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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impressionistische Skizze des Platzes. Oder zumindest teilweise impressionistisch, denn die ›Palmen‹ und das Gras sahen wie grüne Lichtkleckse aus, die sich auf einer unebenen Fensterscheibe spiegelten und durch die man die übrige Aussicht betrachtete. Die Gebäude und die Straßen hingegen waren so sachlich wie auf dem Computerbildschirm eines Architekten dargestellt. Das Bild war auf Transitron ausgeführt – einem Material, das seine Farbe unter dem Einfluß eines elektrischen Stifts veränderte. Unterschiedliche Spannungen und Frequenzen ließen die eingebetteten Metallionen an die Oberfläche des weißen Polymergrunds wandern. Es sah aus wie ein Ölgemälde, das aus dem Nichts erschien, und ich hatte gehört, daß die Schaffung einer bestimmten Farbe genausoviel Kunstfertigkeit verlangte wie die Mischung von Ölfarben. Korrekturen dagegen waren einfach – die Umkehrung der Spannung ließ ohne Mühe alle Pigmente wieder in die Unsichtbarkeit verschwinden.
    Ohne sich zu mir umzublicken, sagte der Künstler: »Fünfhundert Dollar.« Er hatte einen ländlichen australischen Akzent.
    »Wenn ich mich übers Ohr hauen lassen will«, sagte ich, »warte ich lieber auf einen Einheimischen.«
    Er bedachte mich mit einem verletzten Seitenblick. »Meinen Sie, daß ich nach zehn Jahren immer noch nicht dazu qualifiziert bin? Was wollen Sie? Soll ich Ihnen ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen?«
    »Zehn Jahre? Ich muß mich entschuldigen.« Das bedeutete, daß er praktisch ein Pionier war. Stateless war 2032 ausgesät worden, aber es hatte fast ein Jahrzehnt gedauert, bis das Land bewohnbar geworden war. Ich war überrascht, denn die Gründer und die meisten der ersten Siedler waren aus den USA gekommen.
    »Mein Name ist Andrew Worth«, sagte ich. »Ich bin wegen der Einsteinkonferenz hier.«
    »Bill Munroe. Ich bin wegen des Lichts hier.« Er reichte mir nicht die Hand.
    »Ich kann mir das Bild nicht leisten. Aber ich lade Sie zum Essen ein, wenn Sie interessiert sind.«
    Er blickte mich skeptisch an. »Sie sind Journalist.«
    »Ich berichte über die Konferenz. Mehr nicht. Aber ich interessiere mich auch… für die Insel.«
    »Dann lesen Sie alles nach. Im Net gibt es jede Menge Informationen.«
    »Ja, und sie widersprechen sich hinten und vorne. Ich weiß nicht, was Propaganda ist und was nicht.«
    »Wie kommen Sie auf die Idee, daß ich Ihnen etwas sagen könnte, das zuverlässiger wäre?«
    »Ich würde es spüren. Von Angesicht zu Angesicht.«
    Er seufzte. »Wieso ausgerechnet ich?« Er legte seinen Stift ab. »Also gut. Essen und Anarchie. Hier entlang.« Er marschierte quer über den Platz los.
    Ich zögerte. »Sie wollen das hier einfach stehen- und liegenlassen?« Als er weiterging, lief ich ihm nach. »Fünfhundert Dollar – Stift und Staffelei nicht mitgerechnet – und Sie vertrauen darauf, daß niemand die Sachen anrührt?«
    Er warf mir einen verärgerten Blick zu und richtete dann sein Notepad auf die Staffelei, worauf ein kurzes, ohrenbetäubendes Schrillen zu hören war. Einige Leute drehten sich verwundert um. »Gibt es dort, wo Sie herkommen, keine Diebstahlsicherungen?« Ich spürte, wie mein Gesicht errötete.
    Munroe entschied sich für ein preiswert wirkendes Café im Freien und bestellte ein dampfendes weißes Gebräu vom Sofort-Service-Schalter. Es roch widerwärtig nach Fisch, obwohl das hier keineswegs bedeuten mußte, daß es ursprünglich das Fleisch irgendeines Wirbeltiers gewesen war. Trotzdem verlor ich wieder jede Spur von Appetit, die sich bis zu diesem Zeitpunkt bei mir entwickelt hatte.
    Während ich mit einem Daumenabdruck mein Einverständnis für die Bezahlung dieser Mahlzeit abgab, sagte er: »Verraten Sie mir nichts! Sie sind zutiefst verwirrt über unsere Zusammenarbeit mit internationalen Kreditunternehmen für Zahlungszwecke, über die Existenz marktwirtschaftlich geführter Gaststättenbetriebe, über meine gnadenlose Verteidigung von Privateigentum und all die anderen unübersehbaren Hinweise auf den Kapitalismus.«
    »Für Sie ist es nicht das erste Mal. Wie lautet also Ihre Standard-Antwort auf die Standard-Frage?« Munroe trug seinen Teller zu einem Tisch, von dem aus er seine Staffelei im Auge behalten konnte.
    »Stateless ist eine kapitalistische Demokratie«, sagte er. »Und eine liberale sozialistische Demokratie. Und eine Vereinigung von Kollektiven. Und noch ein paar hundert andere Dinge mehr, deren genaue Bezeichnungen ich nicht kenne.«
    »Sie meinen…

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