Quarantaene
Unregelmäßigkeiten im Quantenvakuum die Existenz von »dunkler Materie« im Universum erklärten. Und seine grundlegende Annahme – dass nämlich dunkle Materie so etwas wie ein geisterhaftes, das Quantenvakuum bewohnendes neurales Netzwerk repräsentiere – wurde eigentlich von niemandem ernst genommen außer von Sebastian selbst.
Aber Sebastian war kein Wissenschaftler und hatte auch nie den Anspruch erhoben, einer zu sein. Zur Rede gestellt, pflegte er zu sagen, diese Ideen seien »Muster« oder »Vorschläge« und nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. Sue verstand das wohl, wünschte sich aber, es könnte anders sein; sie hätte es vorgezogen, wenn seine Theorien solide wären wie ein Haus, solide genug, um darin Schutz zu finden.
Nicht, dass ihr eigenes Haus heute Nacht einen übermäßig soliden Eindruck machte. Der Wind wütete wie verrückt und der Schnee war so dicht, dass der Blick aus dem Fenster anmutete wie das O/BEK-Bild eines Planeten, der für menschliches Leben ungeeignet war. Sie kuschelte sich noch ein bisschen tiefer ins Sofa, nahm einen weiteren Schluck Brandy und las:
Das Leben entwickelt sich, indem es sich in vorher bestehende Bereiche ausdehnt und sich vorher bestehende Naturkräfte nutzbar macht. Die Gesetze der Aerodynamik waren im natürlichen Universum bereits latent vorhanden, als sie von Insekten und Vögeln »entdeckt« wurden. Ebenso wurde das menschliche Bewusstsein nicht de novo erfunden, sondern es repräsentiert implizit eine von der Biologie übernommene universale Mathematik …
Dies war die Vorstellung, die Sue am besten gefiel, dass die Menschen ein Stück von etwas Größerem seien, etwas, das hier in einer Gestalt namens Sue Sampel auftrat, dort in einer Gestalt namens Sebastian Vogel, beide einzigartig, aber miteinander verbunden, so wie auch zwei verschiedene Berggipfel Teile ein und des selben Planeten waren. Was, dachte sie, wären wir sonst anderes als verlorene Tiere. Einsam und verlassen, aus dem Mutterschoß verstoßen, unwissend und lebensunfähig.
Die Türklingel jagte ihr einen Schrecken ein. Ihr Haus-Server war immerhin so freundlich, das Geräusch zu dämpfen, aber als sie fragte, wer da sei, antwortete er: »Person unbekannt«. Ihr Magen zog sich zusammen. Also jemand, der nicht als einer ihren regelmäßigen Besucher verzeichnet war.
Ray Scutter, dachte sie. Wer sonst? Elaine hatte sie gewarnt, dass dergleichen passieren könnte. Ray war impulsiv, seit der Abriegelung impulsiver denn je, vielleicht gar impulsiv genug, um dem Sturm zu trotzen und um drei Uhr morgens auf ihrer Türschwelle aufzutauchen. Inzwischen konnte er Kenntnis von Elaines gewaltiger Mail-Aktion erlangt haben. Er würde natürlich wissen (wenn auch vermutlich nicht beweisen können), dass Sue die Kopien aus seinem Schreibtisch geschmuggelt hatte. Er würde wütend sein, fuchsteufelswild wohl sogar, gefährlich. Ja, aber wie gefährlich? Wie verrückt war Ray Scutter letzten Endes?
Hätte sie doch nur ein bisschen weniger getrunken! Aber sie hatte gedacht, vom Alkohol würde sie schlafen können, denn das Pot war ihr vor einem Monat ausgegangen. Nach Sues Erfahrung ließen Drogen und Alkohol sich mit Männern vergleichen, und der beste Partner war das Pot. Kokain warf sich gern in Schale und ging auf die Piste, sehr elegant, aber du musstest damit rechnen, dass es dich auf der Party plötzlich im Stich ließ oder in den frühen Morgenstunden anfing, dich zu schikanieren. Alkohol verbreitete am Anfang immer mächtig gute Laune, aber am Ende wurde es dann oft peinlich; Alkohol war ein Typ in einem grellen Hemd, ein Typ mit Mundgeruch und zu vielen Meinungen, die er glaubte kundtun zu müssen. Pot dagegen … Pot stand auf Kuscheln und Sex. Pot löffelte gerne Eiskrem und guckte sich die Late Show an. Pot fehlte ihr sehr.
Wieder ging die Klingel. Sue spähte aus dem Seitenfenster. Tatsächlich, das war eindeutig Rays kleines mitternachtsblaues Auto, das da neben den Schneewehen am Straßenrand parkte, und es musste ein ziemlich gutes Antriebssystem haben, um durch den immer tieferen Schnee bis hierhergekommen zu sein.
Neuerliches Klingeln setzte ein, vom Server verächtlich leiser gestellt.
Sie konnte ihn natürlich einfach ignorieren. Aber das kam ihr feige vor. Es bestand eigentlich kein Grund, sich zu fürchten. Was konnte er schon groß tun? Sie anschreien? Ich bin erwachsen, sagte sie sich. Ich kann damit umgehen. Besser, man bringt es hinter sich.
Sie überlegte, ob
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