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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie Sebastian wecken sollte, und entschied sich dann aber dagegen. Sebastian war so manches, aber gewiss kein Kämpfertyp. Sie würde alleine zurechtkommen. Erst mal hören, was Ray wollte; ihm dann notfalls sagen, er solle sich verziehen.
    Doch vorher ging sie noch in die Küche und zog ein Tranchiermesser aus dem Messerblock, für alle Fälle. Allerdings kam sie sich dabei ein bisschen idiotisch vor – das Messer war eigentlich nur eine Art emotionaler Versicherung, eine Krücke, um sich tapfer zu fühlen – und so hielt sie es hinter ihrem Rücken versteckt, als sie zur Tür ging. Um sie nun zu guter Letzt zu öffnen, denn schließlich waren sie hier in Blind Lake, der sichersten Gemeinde auf dem ganzen Erdball, selbst dann, wenn der eigene Vorgesetzte zufällig gerade ganz furchtbar sauer auf einen war.
    Ihr Herz klopfte mit verdoppelter Geschwindigkeit.
    Ray stand in einer langen schwarzen Jacke unter dem gelben Verandalicht. Der Wind hatte ihm das Haar zerzaust und mit Schneesternchen verziert. Die Lippen waren geschürzt, die Augen blitzten. Sue blieb breit in der Tür stehen, darauf eingerichtet, sie ihm notfalls vor der Nase zuzuschlagen. Bitterkalte Luft wehte ins Haus. Sie sagte: »Ray …«
    »Sie sind gefeuert«, sagte er.
    Sie sah ihn blinzelnd an. »Was?«
    Seine Stimme war ruhig und fest, seine Lippen in einer Art permanentem Grinsen eingefroren. »Ich weiß, was Sie getan haben. Ich bin gekommen, Ihnen mitzuteilen, dass Sie gefeuert sind.«
    »Ich bin gefeuert? Sie sind hier rausgefahren, um mir zu sagen, dass ich gefeuert bin?«
    Das war zu viel. Die Anspannung des Tages hatte sich in ihr angesammelt wie eine elektrische Ladung, und dies war jetzt eine so groteske Antiklimax – Ray entließ sie aus einem Job, der schon längst überflüssig und unwichtig geworden war –, dass sie Mühe hatte, ein ernstes Gesicht zu machen.
    Was wollte er als Nächstes tun, sie aus Blind Lake rausschmeißen?
    Aber sie spürte, dass es absolut notwendig war, ihre Belustigung zu verbergen. »Ray«, sagte sie, »tut mir leid, aber sehen Sie mal, es ist spät …«
    »Halten Sie den Mund, verdammt noch mal! Sie sind eine ganz gemeine Diebin. Ich weiß, dass Sie die Dokumente gestohlen haben. Und über die andere Sache weiß ich auch Bescheid.«
    »Die andere Sache?«
    »Muss ich Ihnen ein Diagramm malen? Das Gebäck!«
    Der DingDong.
    Das war der Auslöser. Wider Willen musste sie lachen – ein ersticktes Kichern, das sich schnell in ein hilfloses Gelächter aus vollem Halse verwandelte. Gott, der DingDong – Sebastians Ersatzgeburtstagskuchen – der beschissene DingDong!
    Sie lachte noch immer, als Ray ihr an die Kehle ging.
     
    Sebastian hatte schon immer einen gesunden Schlaf gehabt.
    Er schlief schnell ein, wachte langsam auf. Seminare am Morgen waren der Fluch seiner akademischen Karriere gewesen. Er wäre ein grottenschlechter Mönch geworden, hatte er schon oft gedacht. Unfähig, den Zölibat einzuhalten, und immer zu spät zur Frühmette.
    Trotz des fernen Geräusches der Türklingel schlief er weiter und auch trotz des beträchtlichen Lärms, der folgte. Er erwachte, als jemand seinen Namen flüsterte.
    Oder vielleicht war es nur der Wind. In einen Kokon von Decken eingehüllt, öffnete er die Augen in dem verdunkelten Zimmer, lauschte für einen Moment und hörte weiter nichts als das Klagen des Sturms in den Dachtraufen. Er langte auf Sues Bettseite, fand sie aber kalt und leer. Nicht ungewöhnlich. Sue litt oft an Schlaflosigkeit. Er machte die Augen wieder zu und seufzte behaglich.
    »Sebastian!«
    Sues Stimme. Sie war nicht im Bett, aber sie befand sich hier im Zimmer, und sie klang verängstigt. Er schüttelte den Schlaf von sich ab wie ein nasser Hund das Wasser. Er streckte die Hand nach der Nachtischlampe aus, stieß sie beinahe um. Das Licht ging an, und jetzt sah er Sue an der Zimmertür, eine Hand gegen ihren Unterbauch gepresst. Sie war blass und schwitzte.
    »Sue? Was ist los?«
    »Er hat mich verletzt«, sagte sie und hob die Hand, um ihm das Blut auf ihrem Nachthemd zu zeigen, das Blut, das eine Lache rund um ihre Füße bildete.

 
Sechsundzwanzig
     
     
    Charlie Grogan lebte, wenn er nicht gerade nach Störungen im Auge Ausschau hielt, in einer kleinen Wohnung in einem Appartementhaus wenige Straßen nördlich der Plaza.
    Charlie schlief im Schlafzimmer, Boomer, sein alter Hund, in einem aus Baumwolldecken gebildeten Nest in einer Ecke der Küche. Das Klingeln weckte sie beide

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