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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
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alle anderen von Habgier, Realitätsverleugnung oder Furcht blenden lassen, aber er nicht. Die Vorrichtung in diesem Gebäude war zu einer Bedrohung geworden, und dieser würde er sich stellen. Mit dem, was zu tun er sich anschickte, gehorchte er einem so grundlegenden moralischen Imperativ, dass damit alle Fehler, die er im Verlauf dieser Handlung begehen mochte, automatisch getilgt waren.
    Es sei denn, er wäre zu spät gekommen. Der Fahrstuhl bewegte sich nicht, aber Ray glaubte hören zu können, wie das Gebäude ringsum knirschte und ächzte, sich in der Dunkelheit deformierte. Was immer es ist, was wir da aufgeweckt haben, dachte Ray, es ist stark und mächtig, und es ist im Begriff, sich seiner Stärke bewusst zu werden.
    Er musste jetzt planmäßig verfahren. Er krempelte eins seiner Hosenbeine auf. Als er Sues Haus verließ, hatte Ray das blutige Messer noch immer in der Hand gehabt. Er hatte es nicht zurücklassen wollen. Das Messer, seine Verwendung als Waffe, hatte alles, was folgte, sowohl möglich als auch notwendig gemacht. Gleich im Anschluss hatte er den Plan gefasst, mithilfe von Charlie Grogans Generalausweis in das Auge einzudringen. Als er zu Charlies Wohnung gefahren war, hatte das Messer neben ihm auf dem Beifahrersitz gelegen, ein unberührbarer Gegenstand, verziert mit Spuren von Sue Sampels Blut. Er hatte dann am Straßenrand gehalten, das Messer mit einem Wegwerftuch abgewischt und es mit Klebeband aus dem Handschuhfach vorsichtig an seiner linken Wade befestigt. Zu dem Zeitpunkt schien ihm das eine ausgezeichnete Idee zu sein.
    Jetzt jedoch wollte er das Messer in der Hand halten, jederzeit einsatzbereit. Schlimmer noch, er konnte den Gedanken nicht abweisen, dass vielleicht doch etwas Blut an der Klinge haften geblieben war; und die Vorstellung, dass Sue Sampels Blut seine Haut berührte, in seine Poren eindrang, war grotesk und ganz und gar unerträglich, aber in der vollkommenen Dunkelheit des stecken gebliebenen Fahrstuhls hatte er Schwierigkeiten, das lose Ende des Klebebands zu finden. Er hatte sich verdammt noch mal eingewickelt wie eine Mumie.
    Auch hatte er das körperliche Problem nicht recht bedacht, das sich ergab, wenn man, wie es ihm vorkam, meterweise Klebeband von seinem behaarten Bein abziehen wollte. Mit einiger Sicherheit wurden dabei auch Stücke der Haut abgerissen. Er machte tiefe, keuchende Atemzüge, so wie Marguerite es in diesem Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatte, bevor Tessa auf die Welt kam. Tränen standen ihm in den Augen, als er endlich die letzte Schicht Klebeband zu fassen bekam und mit einem Ruck abriss. Das Messer hing noch daran fest und schnitt ihm in die Wade über dem Knöchel.
    Das war zu viel. Voller Schmerz und Erbitterung schrie Ray auf, und infolge dieses Schreis schien der bewegungslose Fahrstuhl noch viel kleiner zu werden, unerträglich klein. Er machte die Augen ganz weit auf, um vielleicht doch Licht aufzunehmen – er hatte gehört, dass das menschliche Auge sogar ein einzelnes Photon wahrnehmen könne –, aber da war nichts, nichts als das Brennen seines eigenen Schweißes.
    Ich könnte hier krepieren, dachte er, und das wäre sehr übel; oder, noch schlimmer, was wäre, wenn er sich betreffs des Auges irrte, wenn Schulgin ihn nach Beendigung der Krise hier auffand, wirr daherredend und mit einer belastenden Waffe in der Hand? Das Messer, das beschissene Messer! Er durfte es nicht behalten, aber er konnte es auch nicht loswerden.
    Und wenn die Wände sich über ihm schlossen, riesigen Zähnen gleich?
    Er fragte sich, ob er – falls sich die Notwendigkeit ergeben sollte – in der Lage wäre, sich mit dem Messer selbst zu töten – wie ein Bushido-Krieger, der sich in sein Schwert stürzt. Wie ernsthaft, wie schnell konnte er sich mit einer fünfzehn Zentimeter langen Klinge selbst verletzen? Was wäre wirkungsvoller: sich die Handgelenke aufzuschlitzen oder sich das Messer in den Bauch zu rammen? Oder sollte er versuchen, sich selbst die Kehle durchzuschneiden?
    Er dachte über den Tod nach. Wie würde es sein, sich von seinem eigenen unordentlichen Selbst zu entfernen, tiefer und immer tiefer in die statische und leere Vergangenheit abzusinken?
    Er bildete sich ein, in seinem Kopf Marguerites Stimme zu hören, Worte flüsternd, die er nicht begriff:
    Unwissenheit
    Neugier
    Schmerz
    Liebe
    – ein Beweis mehr, so er denn noch vonnöten war, dass der O/BEK-Wahnsinn ihn bereits infiziert hatte …
    Und dann gingen die Lichter

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