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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
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starrten sie in ihre Richtung, und sie war versucht, zurückzustarren. Doch eins nach dem anderen, sagte sie sich. Verhalte dich wie eine Wissenschaftlerin. ( Du bist Wissenschaftlerin. Du bist vollkommen sicher. Zwei zur Selbstermächtigung verhelfende Lügen.) Nimm eine Auswertung der Umgebung vor.
    Sie stand knapp innerhalb der Umgrenzung des Bauwerks, welches das Subjekt betreten hatte. Als sie einen Blick zurück durch dessen Bögen warf, konnte Marguerite mit schockierender Unmittelbarkeit die Wüste sehen, die sie instinktiv mit der Geographie von UMa47/E in Verbindung brachte: die zentrale Hochebene der größten Kontinentalplatte, weit weg von allen flachen, salzigen Meeren des Planeten, am äußersten äquatorialen Rand einer gemäßigten Klimazone. Aber es war noch so viel mehr zu sehen. Da war ein Himmel so leuchtend weiß wie frisch gebranntes Porzellan; da war eine Kette von erodierten Basalthügeln, die in der Entfernung verschwammen; da war das Licht einer tiefstehenden fremden Sonne und Schatten, denen man beim Längerwerden zusehen konnte. Da war ein ungleichmäßiger Wind, der nach Limone und Staub roch. Es war kein Bild, sondern ein Ort: fühlbar, greifbar, mit ausgeprägter Struktur.
    Wenn ich nicht hier bin, dachte Marguerite, wo bin ich dann?
    Die Decke des Gebildes schützte vor der direkten Einstrahlung des Sonnenlichts. »Gebilde«, dachte sie, das war eins von diesen Ausweichwörtern, die die Leute in der Beobachtung so schätzten; aber konnte man dieses Gebilde wirklich als »Gebäude« bezeichnen?
    Es gab keine richtigen Wände, nur reihenweise Säulen (schneckenweiß und korallenrosa), angeordnet in unregelmäßigen Bögen, die nach oben hin zusammenliefen, um ein Dach zu bilden. Weiter im Innern verdichteten sich die Schatten bis zur Undurchdringlichkeit. Der Fußboden bestand schlicht aus verwehtem Sand. In der Hummerstadt gab es nichts, das diesem Gebilde geähnelt hätte. Es konnte hier gewachsen sein, dachte sie, im Laufe der Jahrhunderte. Sie berührte eine der Säulen. Sie fühlte sich kühl und leicht irisierend an, wie Perlmutt.
    Als ihre Hand zu kribbeln begann, zog sie sie rasch zurück.
    Natürlich war das alles ganz unmöglich, und nicht nur darum, weil sie normal atmete auf der Oberfläche eines Planeten, der keine für den Menschen geeigneten Lebensbedingungen bot. Die O/BEK-Bilder von UMa47/E waren einundfünfzig Lichtjahre weit gereist. Was man auf dem Bildschirm beobachten konnte, war fast buchstäblich Geschichte. So etwas wie Simultaneität gab es nicht, es sei denn, die O/BEKs hätten gelernt, sich über die grundlegenden Gesetze des Universums hinwegzusetzen.
    Vielleicht war es besser, dieses Erlebnis als eine besonders ausgefeilte Form von virtueller Realität zu interpretieren, als eine Art interaktiver Beobachtung, als einen lebhaften Traum.
    So instabil dieses Erklärungsgerüst war, verlieh es ihr doch den Mut, das Subjekt direkt anzublicken.
    Das Subjekt war anderthalbmal so groß wie Marguerite. In keiner Weise hatte ihre ganze bisherige Beobachtung sie auf seine schiere animalische Massigkeit vorbereitet. Das gleiche Gefühl hatte sie gehabt, als sie als Achtklässlerin zum ersten Mal in einem Streichelzoo gewesen war. Tiere, die im Fernsehen ganz unschuldig aussahen, erwiesen sich als größer, schmutziger, übelriechender und sehr viel unberechenbarer, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie waren auf so verstörende Weise sie selbst, so vollkommen gleichgültig gegen ihr vorgefasstes Bild.
    Das Subjekt war entschieden es selbst. Von seiner aufrechten Haltung auf zwei Füßen abgesehen war nichts Menschliches an ihm. Aber es hatte auch keine Ähnlichkeit mit einem Insekt oder einem Krustentier, trotz des albernen »Hummer«-Etiketts, das man ihm angeheftet hatte.
    Seine Füße waren breit, flach, ledrig, zehen- und nagellos. Zum Stehen gemacht, nicht zum Rennen. Nach seiner langen Wanderung waren sie mit Staub und Schmutz überzogen, und an einigen Stellen war die kieselartige Oberhaut zu rauer Glätte abgeschliffen. Marguerite fragte sich, ob sie ihm wohl wehtaten.
    Seine Beine waren nicht länger als ihre eigenen, aber fast doppelt so dick. Sie hatten etwas enorm Muskulöses an sich, ähnelten zwei mit ziegelrotem Leder bezogenen Baumstämmen. Die Beine trafen nahtlos im Schritt zusammen, wo keins der komplexen Zubehörteile menschlicher Sexualität anzutreffen war; keine große Überraschung vielleicht, mag es doch weitaus geeignetere Stellen zur

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