Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
gern zu, wenn er über diese fernen und erst seit Neuestem darstellbaren Welten sprach, wünschte sich aber immer, dass er über die gesicherten Tatsachen hinausginge. Gab es Lebewesen auf diesen Planeten? Wie sahen sie aus?
    »Das wissen wir nicht«, sagte er ihr immer wieder. »Das ist noch nicht entdeckt worden.« Portia zog dann eine enttäuschte Schnute – hätte er nicht etwas erfinden können? –, doch Chris hatte sich schon das angeeignet, was er später als journalistischen Respekt vor der Wahrheit verstehen sollte. Wenn man die Tatsachen begriff, dann benötigten sie keine Ausschmückung: Das ganze Wunder war darin bereits enthalten, umso fesselnder, als es wahr war.
    Dann hatten die NASA-Interferometer allmählich an Signalstärke verloren, und die neu entwickelten O/BEK-Geräte – Quantencomputer, die adaptive Neuronennetze in einer offenen organischen Architektur betrieben – wurden eingesetzt, um die winzigsten Signalfitzelchen aus dem Rauschen herauszufiltern. Sie hatten dann natürlich mehr als das geleistet. Aus ihrer zusehends tiefer gehenden und rekursiven Fourier-Analyse heraus hatten sie auf irgendeine Weise ein optisches Bild gewonnen, noch nachdem die Interferometer selbst ihre Funktion eingestellt hatten. Der analytische Apparat hatte das Teleskop ersetzt, das er eigentlich nur hätte unterstützen sollen.
    Im letzten Jahr, bevor er sein Elternhaus verlassen hatte, waren die ersten Bilder von HR8832/B für die Medien freigegeben worden. Seine Familie hatte sich nicht weiter dafür interessiert. Portia war inzwischen ein aufgeweckter Teenager, der die Politik entdeckt hatte und Frust schob, weil sie nicht nach Chicago hatte fahren dürfen, um gegen die Einführung des Continental Commonwealth zu protestieren. Seine Eltern hatten sich, jeder für sich, in ihre eigenen Teilwelten zurückgezogen – sein Vater in die Holzschnitzerei und die presbyterianische Kirche, seine Mutter in ein spät berufenes Bohemetum, das von Mensatreffen und Madrasblusen, Psychomessen und afghanischen Schals gekennzeichnet war. Und obwohl sie pflichtschuldig über die Bilder von HR8832/B gestaunt hatten, hatten sie sie doch recht eigentlich nicht verstanden. Wie die meisten anderen Leute konnten sie sich nicht vorstellen, wie weit der Planet entfernt war, und was es bedeutete, dass er um »einen anderen Stern« kreiste, warum seine Seelandschaften mehr als nur auf abstrakte Weise hübsch waren oder warum so viel Aufhebens von einem Ort gemacht wurde, den man nicht einmal besuchen konnte.
    Chris hätte es ihnen furchtbar gern erklärt – auch dies ein damals im Entstehen begriffener journalistischer Impuls. Die Schönheit und Bedeutung dieser Bilder waren transzendent. Der Menschheit zehntausendjähriger Kampf gegen das Unwissen gipfelte in dieser Errungenschaft. Sie setzte Galilei gegenüber seinen Inquisitoren ins Recht und erlöste Giordano Bruno von den Flammen. Sie war eine aus dem Schutt von Sklaverei und Krieg geborgene Perle.
    Sie war außerdem ein Neuntageswunder, eine Medienblase, eine für kurze Zeit lukrative Einnahmequelle für die Neuheitenindustrie. Zehn Jahre waren vergangen, der O/BEK-Effekt, so hatte sich erwiesen, war schwer zu verstehen oder zu reproduzieren, Portia war weg und Chris’ erster Versuch, Journalismus auf Buchlänge zu betreiben, eine Katastrophe gewesen. Die Wahrheit war eine schwer zu vermarktende Ware. Selbst in Crossbank, sogar in Blind Lake, hatte der selbstzerstörerische Streit über Imagestrategien und Interpretationen den wissenschaftlichen Diskurs fast vollständig überlagert. Und dennoch war er hier gelandet. Desillusioniert, desorientiert, durch den Wolf gedreht und von der Rolle, aber mit einer letzten Chance, jene Perle auszugraben und der Welt zu schenken. Eine Chance, die Schönheit und Bedeutung wieder zum Vorschein zu bringen, die ihn einst fast zu Tränen gerührt hatte.
    Er blickte über die frühstücksbefleckte Plastiktischplatte hinweg auf Sebastian Vogel. »Was bedeutet dieser Laden für Sie?«
    Sebastian zuckte freundlich die Achseln. »Ich bin auf die gleiche Weise hergekommen wie Sie. Habe die Anfrage von Visions East bekommen, habe mit meinem Agenten gesprochen, habe den Vertrag unterzeichnet.«
    »Ja, aber ist das alles, was es für Sie persönlich ist – eine Gelegenheit, zu publizieren?«
    »So würde ich es nicht sagen. Meine Gefühle in dieser Sache mögen weniger stark sein als die Elaines, aber ich bestreite nicht die Bedeutung der Arbeit, die

Weitere Kostenlose Bücher