Quasikristalle: Roman (German Edition)
mit einer der Kellnerinnen geflirtet, die so perlend lachte, als täte man ihr, indem man nachschenken ließ, einen immensen persönlichen Gefallen. Danach fehlte ein Stück des Abends. Aber am Ende, so fiel ihm erschrocken ein, hatte er sich vor dem Gartentor mit Wolfgang Stortecki einen heftigen Wortwechsel geliefert. Schwache, peinigende Erinnerungen an Sabina, die an seinem Arm zog, an Suse Stortecki, die an Wolfgangs Arm zog, undeutliche Wortfetzen, das wird ihnen morgen alles furchtbar leidtun (Suse), na, das kann man nur hoffen (Sabina).
Es liegt an den Österreichern, sagte Martin unvermittelt, die sind allesamt Alkoholiker. Nirgends trinkt man so viel wie bei denen. Und darauf sind sie auch noch stolz.
Ich fand dich schon angespannt, als du von der Arbeit kamst, bemerkte Sabina, die neben ihm auf dem Rücken lag und ihre Knie knapp vor dem Kinn umarmte. Die morgendlichen Dehnungsübungen.
Aber du wolltest mir ja nicht sagen, was los war.
Martin zerrte das Kissen unter seinem Kopf hervor und legte es sich aufs Gesicht. Dumpf, dunkel, wenig Sauerstoff. Angemessen, angenehm. Und da war er wieder, der katastrophale gestrige Tag, die Chefin, wie sie erst mütterlich besorgt zu ihm sprach und ihm dann, die Augen beharrlich auf ihren schlanksilbernen Damenbildschirm gerichtet, vorschlug, gern ein paar Tage freizunehmen. Oder auch Wochen, wie es sich für Sie gut anfühlt, Herr Kummer. Die ihn abrupt und ohne noch einmal aufzublicken hinauswinkte wie etwas Erlegtes oder Ausrangiertes, weil offenbar das Gesicht eines Anrufers vor ihr erschienen war.
Er selbst, wie er an seinem Schreibtisch saß und alles, was da lag, auf einen Haufen zusammenschob. Den Haufen hin-und herschob. Alles auf den Boden wischte, mit dem Unterarm. Sich wie ein schlechter Schauspieler vorkam. Das Zeug also schnell wieder aufhob, Folien glattstrich, Mappen abpustete. Dann der Impuls, alles anzuzünden. Er war überzeugter Nichtraucher, er hatte nie Feuer zur Hand. Dass seine Hand zitterte. Dass er, als er zufällig den Kopf hob und aus dem Fenster schaute, vor Wut alle Muskeln anspannte, weil Oskar Topic aus dem Haus trat und in Richtung Hasenheide schlurfte. Dass er sich vorstellte, ihm dieses lächerliche, billige Holzfällerhemd aufzureißen, sich den Anblick des massigen Oberkörpers vorstellte, bestimmt alles voller Haare wie ein verdammter viriler Macho-Büffel, dazwischen winzige, blassrosa Brustwarzen, versteckt in ihrem wolligen Nest. Und dann? Mit einem Messer? Das wusste seine Phantasie nicht zu entscheiden. Mindestens ihm das Knie in die Geschlechtsteile rammen, die er sich klein und nussartig vorstellte, rammen, dass er zu Boden ging, und treten, spucken, treten. Fernsehbilder in seinem Kopf, unscharfe Aufzeichnungen von den Kameras in den U-Bahnhöfen, diese vermummten schwarzledernen Irren, die einen Unschuldigen zusammentraten, aber ein Mal so treten, ja, das würde ihm gefallen, das stellte er sich ein paar Minuten lang lüstern vor, denn – und er sagte das zu sich mit dem Ausdruck äußersten Bedauerns – es gibt Menschen, die haben einfach nichts anderes verdient.
Schönes Wochenende, Martin, wünschte ihm Verena, als sie ging. Er fuhr zusammen. Verena lachte. Habe ich dich erschreckt, Martin? Entspann dich! Verena, die ein wenig an Sabina erinnerte, an Sabina vor ein paar Jahren. Sabina hat aber ein ganz anderes Auftreten. Verena bleibt das Mädchen vom niedersächsischen Dorf. Hingegen Sabina … Sabina. Dehnt sich noch. Für wen, wenn nicht für mich?
Martin schob das Kissen weg und drehte sich hinüber, zog sich im Drehen die Unterhose herunter und brachte Sabina in Folge zu einigem Schreien und Stöhnen und kullerndem Glücksgelächter. Als er gerade mit sich zufrieden sein und die letzten paar entspannten, von weiteren ehefraulichen Erwartungen völlig ungestörten Meter zum Ziel weiterschaukeln wollte, drangen Erinnerungsstörfeuer auf ihn ein. Zufrieden mit sich selbst? Stolz auf seine Leistung? No way , mit einer Lieblingswendung der anglophilen Chefin. Alles stürzte zusammen. Entschuldige, sagte er und zog sich brüsk zurück. Nichts zu entschuldigen, seufzte Sabina, für dich war es ein bisschen viel gestern, nicht?
Dabei hatte sie gar keine Ahnung, wovon sie sprach.
Es wäre ja die Frage, woher die persönlichen Vorlieben kamen. Gene, Prägung, Peergroup? Warum man schon in der Jugend bestimmte Bands, ja sogar Plattenlabels, anderen zweifelsfrei vorzog; in Martins Schulklasse hatte es einen gegeben,
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