Quellen Der Lust
anständige Frau, die wegen ihrer Geldsorgen wieder heiraten muss.“ Sie straffte die Schultern und sah aus, als habe sie in eine saure Zitrone gebissen. „Wollen Sie vielleicht, dass Sie mit dickem Bauch vor den Altar treten muss?“
„Das ist doch lächerlich.“ Er fühlte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Mit dickem Bauch?
„Jedenfalls ist es so klar wie dicke Tinte. Sie strahlen beide von einem Ohr zum anderen.“
„Das verbitte ich mir!“ Er sah Mercy mit dem Blick an, der ihm bisher noch immer dabei geholfen hatte, Dienstboten zurechtzuweisen.
„Heiraten Sie das Mädel, Sir. Damit sie eine ehrbare Frau bleibt“, sagte sie scharf. „Oder kümmern Sie sich selbst um Ihr bestes Stück.“
Jack erstarrte. Ihre Aufforderung klang ihm laut in den Ohren, und er sagte sich, dass er ihre darauffolgende Äußerung falsch verstanden haben musste. Damit sie eine ehrbare Frau bleibt.
Heiraten Sie das Mädel, Sir .
Ein schrecklicher Misston begleitete diese Worte, die zum ersten Mal von jemand Außenstehendem ausgesprochen wurden.
Das unbarmherzige Licht der Logik und Vernunft fiel auf die süße, irrationale Hoffnung in seinem Herzen.
Mariah heiraten? Alles in seinem Leben sprach dagegen. Seine Familie erwartete, dass er dank Berties Gunst und Einfluss eine vorteilhafte Ehe eingehen würde. Doch er hatte die spezielle Mission, die Bertie ihm aufgetragen hatte, nicht erfüllt. Noch schlimmer: er selbst hatte sich mit Berties Auserwählter vergnügt. Schon mehrmals hatte er mit eigenen Augen gesehen, wie Männer und Familien, die dem Prinzen nicht den gebührenden Respekt gezollt hatten, in Ungnade fielen. Es graute ihm davor, sich das ganze Ausmaß der königlichen Wut vorzustellen, wenn der Thronfolger erfuhr, dass Jack die Frau geheiratet hatte, die er zu seiner Mätresse auserkoren hatte.
Die rosigen Aussichten, die er sich eben noch ausgemalt hatte, hatten sich plötzlich verdunkelt.
Niemals könnte er sowohl Mariah als auch die Gunst des Prinzen behalten.
17. KAPITEL
Mariah kam in einem noch mit Nadeln zusammengesteckten blauen Satin-Abendkleid, das ihre Figur spektakulär zur Geltung brachte, hinter der spanischen Wand hervor. Sie drehte sich um ihre eigene Achse und hielt dabei die Schleppe des Kleids hoch, als tanze sie einen Walzer.
„Was sagt ihr?“ Sie blieb vor ihnen stehen.
„Wie ein Engel, Miss.“ Mercy strahlte sie bewundernd an.
„Da fehlt noch etwas Stoff.“ Jack starrte auf ihr tiefes Dekolleté. „ Viel mehr.“
Sie lachte, und ihre Augen sprühten verschmitzt.
„Nun, ich weiß aus sicherer Quelle, dass dieser Stil für ehrenhafte Damen, die elegante Restaurants und die Oper besuchen, de rigueur ist.“
„Schon mal in einer Oper gewesen?“, fragte er mit übertriebener Abneigung. „Dem Publikum sollte es eigentlich erlaubt sein, Schlafhauben und Nachthemden zu tragen.“
Sie brach in lautes Lachen aus und hielt dabei die Taille ihres Abendkleids fest, als habe sie Angst, die provisorische Naht würde nicht halten. Er stimmte mit ein, wie auch einen Augenblick später Mercy, die jedoch nicht recht zu verstehen schien, worüber sie eigentlich lachte. Als sie sich wieder beruhigt hatten, warf Mariah ihm ein liebevolles Lächeln zu.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, sich jemals so gut gefühlt zu haben oder jemandes Gesellschaft so sehr genossen zu haben wie Jacks. Ständig überraschte er sie mit witzigen Kommentaren über die feine Gesellschaft Londons. Er vereinte in sich ein lebhaftes Interesse für die unterschiedlichsten Dinge mit einem oftmals erstaunlich rebellischen Blickwinkel. Das Resultat war, dass er mit inneren Widersprüchen zu kämpfen hatte, die ihn wieder und wieder in Verlegenheit brachten. Es kam ihr vor, als sei seine Angepasstheit nach außen hin der Preis, den er für die Freiheit seiner Gedanken und Gefühle bezahlt hatte.
Und sein Verlangen nach ihr war der extremste Ausdruck dieser inneren Gratwanderung. Wenn er sich und der Welt eingestand, dass er sie liebte, würde er das Risiko eingehen, die Vergünstigungen von Herkunft und sozialem Rang, die er sein ganzes Leben lang genossen hatte, zu verlieren. Um sie an seiner Seite zu haben, würde er sein komfortables, vorgezeichnetes Leben auf den Kopf stellen müssen.
Ist deine Liebe stark genug, Jack?, fragten ihre Augen ihn. Du bist in mein sicheres, beschütztes Leben getreten und hast es so gründlich durcheinander gebracht, dass ich nun mit dir leben, lieben und eine Familie
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