Querschläger
die Dr. Gutzkows Leute unterdessen für den Transport in die Gerichtsmedizin fertiggemacht hatten.
»Sollen wir vielleicht jetzt nach der Waffe suchen?«, wollte der Streifenpolizist wissen.
»Ja«, sagte Verhoeven. »Und fangen Sie hier im Haus an. Die Spurensicherung muss jeden Augenblick eintreffen. Dann können Sie sich abstimmen.«
»Alles klar.« Der Beamte verschwand durch die noch immer sperrangelweit geöffnete Tür und kehrte kurz darauf in Begleitung zweier Kollegen zurück. Während sie zu dritt im Türrahmen standen, um die Aufgaben zu verteilen, zwängte sich Winnie Heller mit ein paar gemurmelten Entschuldigungen an der Gruppe vorbei. Aus ihrem Pferdeschwanz hatten sich ein paar Haarsträhnen gelöst, die ihr – gepaart mit den neuen Ponyfransen – einen beinahe verwegenen Look verliehen, wie Verhoeven fand.
»Darf ich mal?« Sie schob einen der Polizisten, einen Hünen von beinahe eins neunzig, zur Seite und stürmte auf ihren Vorgesetzten zu, wobei sie Dr. Gutzkow mit einem flüchtigen Nicken begrüßte. »Wir haben ein Problem«, verkündete sie, und Verhoeven dachte, dass das Wort »Problem« den Sachverhalt nur äußerst unzureichend umschrieb.
»Warum?«, gab er zurück. »Weil einer unserer Hauptverdächtigen sich von selbst erledigt hat?«
Sein offenkundiger Sarkasmus schien seine Kollegin zu irritieren, denn sie stutzte. Dann sagte sie: »Sven Strohte war auch hier. Jessica Mahler hat ihn gesehen.«
Verhoeven starrte sie an. »Dann schicken Sie sofort ein Team hin und lassen Sie den Jungen festnehmen.«
»Er kam aber erst nach Jessica hier an«, erwiderte Winnie Heller dezidiert. »Die beiden waren hier verabredet, und Jessica war die Erste. Sie stolperte über die Leiche, versteckte sich, und wenig später sah sie Sven ankommen.«
»Und dann?«
»Ist er in die Hütte und gleich darauf wieder weg.«
»Sonst nichts?«
»Nein, sonst nichts.«
»Er könnte vorher schon mal da gewesen sein«, sagte Verhoeven. »Er könnte Steven Höhmann erstochen haben, und etwas später ist er dann vielleicht zurückgekommen, um auch Jessica zu töten.«
Winnie Heller schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht? Weil Sven Strohte Chopin spielt?«
»Nein«, versetzte sie mit entnervter Miene. »Weil er sich gestern schon einmal mit Jessica getroffen hat. Und bei dieser Gelegenheit hat er ihr etwas erzählt, das wichtig sein könnte.« Sie seufzte. »Und das er uns leider Gottes verschwiegen hat.«
Dieser Junge spielt vielleicht ein Spiel mit uns, dachte Verhoeven. Wenn er der ist, den wir suchen, ist er ziemlich gut darin, andere genau das glauben zu machen, was er will. »Er ist Jessica Mahler nicht begegnet?«
»Sie sagt nein«, entgegnete Winnie Heller. »Als er ankam, hatte sie bereits den Notruf gewählt und sich irgendwo da hinten im Unterholz versteckt.«
»Und was ist das, was er ihr gestern erzählt hat?«
»Dass er kurz nach dem Schuss, der Hrubesch tötete, eine Tür gehört hat.«
»Was für eine Tür?«, fragte Verhoeven. »Die Tür zum Treppenhaus?«
»Nein«, entgegnete Winnie Heller mit bedeutungsvoller Miene. »Sven Strohte sprach ausdrücklich von einem Schloss. Also einer Tür, die zuerst aufgeschlossen werden musste.«
»Aber da unten ist doch nichts«, sagte Verhoeven. »Nur Duschen und Umkleiden und …« Er unterbrach sich und starrte seine Kollegin an, die bereits freudig nickte.
»Der Werkraum«, sagte sie. »Erinnern Sie sich? Er ist grundsätzlich abgeschlossen, weil dort Gasflaschen, Lötkolben und andere gefährliche Dinge untergebracht sind.«
Verhoeven runzelte die Stirn. »Also müsste, wer immer Hrubesch erschossen hat, einen Schlüssel gehabt haben.«
»Und nicht nur das«, fuhr Winnie Heller aufgeregt fort. »Mir ist vorhin eingefallen, dass ich …«
Das Klingeln von Verhoevens Handy schnitt ihr das Wort ab.
Verhoeven klappte es auf und meldete sich.
»Ich habe hier eine Meldung, die euch interessieren könnte«, verkündete Oskar Bredeney am anderen Ende der Leitung, und Verhoeven wunderte sich, dass der Kollege anscheinend noch immer im Büro war. »Sie betrifft einen versuchten Einbruch in der Wohnung von Beate Soltau.«
»Ein Einbruch?«, fragte Verhoeven. »Wann?«
»Gestern Abend«, antwortete Bredeney. »Die Freundin von der Soltau, du weißt schon, diese Frau Herrgen, wollte mit ihrem Mann ein paar Sachen holen und fand die Tür unverschlossen. Außerdem habe die Balkontür offen gestanden.« Er räusperte sich kurz und
Weitere Kostenlose Bücher