Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
jedermann in kalten Schweiß ausbrechen ließ, da ihre Schilderungen und Offenbarungen einen zwangen, sich mit Gegenständen von solcher Urtümlichkeit zu befassen, dass sie über jede Eschatologie hinausgingen. Selbst Drake hatte vom Weltuntergang schweigen müssen, wenn Mayflower in Gang gekommen war. Butler flüchteten, Dienstmägde fielen in Ohnmacht. Der Zustand von Mayflowers Schoß beeinflusste die Stimmung Englands, wie der Mond die Gezeiten bestimmte.
    »Wie, äh... geht es dir?, fragte Daniel und wappnete sich, doch sie lächelte nur freundlich, entschuldigte sich mechanisch dafür, dass das Haus noch nicht fertig war (allerdings wurde kein vornehmes Haus jemals fertig) und führte ihn in das Speisezimmer, wo Onkel Thomas mit Sterling und Beatrice Waterhouse sowie Sir Richard Apthorp und dessen Frau am Tisch saß. Die Apthorps hatten ihr eigenes Goldschmiedegeschäft ein paar Häuser weiter auf der Threadneedle. Die Kleidung war nicht so aggressiv vornehm, Daniel nicht so ungeheuer fehl am Platze wie im Kaffeehaus. Sterling begrüßte ihn herzlich, als wollte er sagen: Tut mir Leid, alter Junge, aber das neulich war geschäftlich.
    Sie schienen irgendetwas zu feiern. Es fielen Anspielungen auf die viele Arbeit, die noch vor ihnen lag, deshalb vermutete Daniel, dass es sich um irgendeine wichtige Etappe ihres großen Warenhaus-Projekts handelte. Er wollte, dass ihn irgendwer fragte, wo er gewesen war, damit er ihnen ganz nonchalant mitteilen konnte, er sei im Tower gewesen und habe eine Vollmacht des Ministers geschwenkt. Aber niemand fragte. Nach einer Weile ging ihm auf, dass es sie wahrscheinlich gar nicht interessieren würde, wenn sie es wüssten. Die Hintertür, die auf die Cornhill ging, öffnete sich immer wieder knarrend und knallte dann zu. Schließlich hielt Daniel Onkel Thomas’ Blick fest und fragte ihn mit den Augen, was um alles in der Welt da hinten vor sich ging. Kurz darauf stand Viscount Walbrook auf, wie um den Abtritt zu benutzen, klopfte Daniel jedoch im Hinausgehen leicht auf die Schulter.
    Daniel stand auf und folgte ihm einen Flur entlang – der dank eines roten Schimmers am anderen Ende nicht völlig dunkel war. Die schwankende Polichinell-Silhouette seines Gastgebers versperrte ihm die Sicht, aber er konnte Schaufeln knirschend in Haufen irgendeines Materials hineinstoßen und klingen hören, wenn sie ihre Last mit Schwung weiterbeförderten – offensichtlich Kohle, die in einen Ofen geschaufelt wurde. Manchmal aber war auch das kalte Klirren einer herunterfallenden und auf dem harten Fußboden auskullernden Münze zu hören.
    Im Flur wurde es zunehmend rußig und äußerst warm, und er ging in einen mit Ziegelstein ausgekleideten Raum über, wo ein bis auf die Unterhose entkleideter Arbeiter Kohle durch die offene Tür der Esse des Hauses Ham schaufelte – die beim Wiederaufbau des Hauses nach dem großen Brand erheblich vergrößert worden war. Ein zweiter Arbeiter betätigte mit den Füßen einen Blasebalg, eine Bewegung, als stiege er eine endlose Leiter hinauf. Früher hatte diese Esse die richtige Größe gehabt, um Törtchen zu backen, was für einen Goldschmied, der Ohrringe und Teelöffel herstellte, auch durchaus sinnvoll war. Jetzt sah sie aus, als könnte man darin Kanonenrohre gießen, und das Gewicht des Hauses konzentrierte sich zur Hälfte im Schornstein.
    Auf dem Boden standen aufgeklappt mehrere schwarze, verschließbare Kassetten – manche voller Silbermünzen, andere leer. Neben einer davon saß, ebenfalls auf dem Boden, einer von Hams höheren Angestellten in einer Pfütze seines eigenen Schweißes und zählte laut Münzen in eine Schale: »Achtundneunzig... neunundneunzig... hundert!«, worauf er die Schale Charles Ham (dem jüngsten der Ham-Brüder – Thomas war der älteste) hinaufreichte, der sie auf eine Waagschale leerte und die Münzen gegen einen Messingzylinder abwog – um sie sodann in einen eimergroßen Schmelztiegel zu scharren. Dieser Vorgang wiederholte sich, bis der Schmelztiegel fast voll war. Dann wurde eine glühende Tür geöffnet – blaue Flammenzungen leckten in den dunklen Raum – Charles Ham zog schwarze Handschuhe an, hievte eine riesige eiserne Zange vom Boden, schob sie hinein, packte zu und zog im Rückwärtsgehen einen zweiten Tiegel heraus: ein Gefäß, von dem ein narzissenfarbenes Licht ausging. Er drehte sich vorsichtig um, brachte den Schmelztiegel in Position (Daniel hätte dessen Weg mit geschlossenen Augen, bloß

Weitere Kostenlose Bücher