Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
ein großes Loch auf, offensichtlich das Mundloch des Schachts. Eine endlose Kette von Eimern war so hintereinander gereiht worden, dass die Kraft des Windrads sie, mit Wasser beladen, aus dem Schacht beförderte. Während sie um eine riesige Seilscheibe herumliefen, leerten sie ihren Inhalt in eine lange hölzerne Rinne: einen Mühlgraben, der das Wasser durch eine kleine gewölbte Öffnung in der Turmwand hinausführte. Dann tauchten die Eimer zur nächsten Runde wieder in den Schacht. Auf diese Weise wurden einige tief liegende Teile des Bergwerks, die normalerweise überflutet wären, entwässert. Hier oben dagegen tat das Wasser gute Dienste. Nachdem sich in einem System von Gräben draußen ein gewisser Druck angesammelt hatte, trieb es kleine Mühlräder an, die Blasebälge und Hämmer für die Schmiede betrieben, und wurde schließlich in Zisternen gesammelt.
    Oben auf dem Turm hatte Jack, der klugerweise einen Teil ihres Gewinns für warme Kleidung ausgegeben hatte, einen Ausblick in alle Richtungen, der mehrere Tagesreisen weit reichte. Die Berge (mit Ausnahme eines großen im Norden) waren nicht von der zerklüfteten Art, sondern ansteigende Dinger mit gerundeten Kuppen, durch Spalten von bodenloser Tiefe voneinander getrennt. Darauf wuchs Mischwald – teils Laubbäume mit hellgrünen Frühlingstrieben und teils Nadelwald, der fast schwarz war. Hier und da waren auf Südhängen Viehweiden und auf Nordhängen Schneeflecken zu sehen. Dörfer mit ihren roten Ziegeldächern lagen, wie Blutspritzer, ungleichmäßig verstreut da. Ein großes befand sich gleich unterhalb, in der Schlucht, die diesen Berg von dem noch höheren im Norden trennte: einem kahlen Felsen, dessen Gipfel von einer seltsamen Anordnung länglicher Steine gekrönt war. Wolken fuhren über ihn hinweg, so schnell und ungestüm wie die Geflügelten Husaren, und das gab Jack das Gefühl, als stürze der Turm unaufhörlich um. Die seltsam gebogenen Flügel der Windmühle des Doktors summten über seinem Kopf wie schlecht gezielte Hiebe eines orientalischen Krummsäbels.
     
    »Moment mal, Doktor, bei allem Respekt, Ihr habt, um das Wasser heraufzupumpen, die Bergleute in der Tretmühle durch Euer Windrad ersetzt – was aber passiert, wenn der Wind nicht bläst? Fließt das Wasser dann wieder zurück? Ertrinken die Bergleute?«
    »Nein, sie nehmen kleine Erzboote und folgen einfach dem alten unterirdischen Entwässerungskanal.«
    »Und wie empfinden es diese Bergleute, dass sie durch Maschinen ersetzt werden, Doktor?«
    »Der Zuwachs an Produktivität sollte das mehr als -«
    »Und wie leicht wäre es, sich einen Sabot vom Fuß gleiten und ihn ›zufällig‹ in das Getriebe fallen zu lassen -«
    »Äh... vielleicht sollte ich Wachen aufstellen, um jede derartige Sabotage zu verhindern.«
    » Vielleicht ? Was würden diese Wachen kosten?Wo würden sie untergebracht?«
    »Eliza, bitte, wenn ich die Probe einmal unterbrechen darf«, sagte der Doktor. »Erledigt Eure Aufgabe nicht zu gut, ich bitte Euch, vermeidet, irgendetwas zu sagen, was einen bleibenden Eindruck auf das, äh, Publikum machen könnte...«
    »Aber ich dachte, es ginge darum -«
    »Ja schon, aber vergesst nicht, es wird etwas zu trinken geben, und nehmt einmal an, ein potentieller Investor muss ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Vorstellung austreten, gerade wenn Euch die Schuppen von den Augen fallen und ihr erkennt, dass dies letztlich doch eine glänzende Gelegenheit ist -«
    So weit die Probe. Eliza, die blass aussah, spielte ihren Part halb im Liegen auf einer Couch. Diesen kalten Gang entlangzukriechen, war für jemandem in ihrem delikaten Zustand vielleicht nicht die beste Idee gewesen. Jack wurde bewusst, dass sie ja jetzt ein bisschen Geld hatten und es deshalb keinen Grund gab, warum er nicht in die Stadt unterhalb von ihnen gehen, eine Apotheke ausfindig machen und irgendeine Art von Saft oder Zaubertrank kaufen sollte, die die Folgen der Blutung aufheben, wieder rote Farbe auf ihre Wangen und überhaupt den Körpersaft der Leidenschaft wieder in ihre Adern bringen würde.
    Über diese Stadt, die Bockboden hieß, hatte der Doktor wenig zu sagen gehabt, abgesehen von ein paar vorsichtigen Kommentaren wie: »Dort würde ich nicht hingehen«, »Geht nicht dorthin«, »Ein guter Aufenthaltsort ist das nicht«, und »Meidet ihn.« Keiner davon wurde jedoch durch die schauerlichen Lügenmärchen untermauert, die ein Vagabund erzählt hätte, um seinen Standpunkt klar zu

Weitere Kostenlose Bücher