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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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war.Wenn er so in seiner Hängematte lag und sein Blick in die Mansarde auf der anderen Straßenseite wanderte, hatte er jeden Tag allen Grund, St-George zu danken, dass er ihn an einem Ort untergebracht hatte, an dem es nicht so viele Typhusfälle, unvermutete Razzien des Generalleutnants der Polizei, tot geborene Babys und andere Ärgernisse gab: Er sah junge Frauen – davongelaufene Dienstmädchen -, die an einem Tag auftauchten, um gleich am nächsten wieder fortgeschleppt und (wie er vermutete) vor den Stadttoren kahl geschoren, ausgepeitscht und aufs Land hinausgejagt zu werden. Entweder das oder es kam zu einer privaten Vereinbarung, woraufhin Jack den Geräuschen und (je nach Wind) Aromen irgendeines Polizeiinspektors ausgesetzt war, der sich auf eine fleischliche Art befriedigte, wie sie für Jack unerreichbar geworden war.
    Er bot die Straußenfedern zum Verkauf an und ging dabei so vor, wie er es am liebsten machte: Er versuchte jemanden zu finden, der es für ihn tat. Nachdem er vierzehn Tage herumgehangen und keinerlei Anstalten gemacht hatte, sich zur Abreise zu rüsten, fragte Artan (der älteste der Esphahnian-Brüder, der zu der Zeit auch dort wohnte) Jack, was er eigentlich in Paris zu tun beabsichtigte – wobei er keinen Zweifel daran ließ, dass die Esphahnians, wenn die Antwort »Fassadenklettern« oder »serienmäßige Vergewaltigung« lautete, deswegen nicht schlechter von ihm dächten – sie mussten es einfach nur wissen . Um seine Aufgeschlossenheit zu demonstrieren, brachte Artan Jack in seiner Familiengeschichte auf den neuesten Stand.
    Es sah so aus, als wäre Jack hier in den vierten oder fünften Akt eines Schauspiels – weder Komödie noch Tragödie, sondern eine Geschichte – hineingeplatzt, das begonnen hatte, als Monsieur Esphahnian père 1644 das erste Schiff mit Kaffee, das je dort anlegte, nach Marseille gesegelt hatte. Es war eine Menge Geld wert. Die erweiterte Familie Esphahnian mit Hauptsitz in Persien hatte einen großen Teil ihrer Gewinne aus dem Indienhandel darauf verwandt, diese Schiffsladung Kaffeebohnen in Mocha zu kaufen und sie durchs Rote Meer und den Nil nach Alexandria hinauf und von dort nach Frankreich zu befördern. Jedenfalls verkaufte Pa Esphahnian die Bohnen, erzielte einen ganz ordentlichen Preis, allerdings in reales – spanischem Geld – Achteln von Piastern. Warum? Weil es in Frankreich einen extremen Mangel an kursierendem Geld gab und er den Verkaufspreis nicht einmal, wenn er gewollt hätte, in französischer Währung hätte annehmen können – es gab einfach keins. Und warum war das so? Weil (und hier muss man sich einen Armenier vorstellen, der sich mit beiden Händen an den Kopf schlägt – imbécile! ) die spanischen Minen in Mexiko geradezu lachhafte Mengen von Silber produzierten -
    »Ja, das weiß ich«, sagte Jack, aber Artan war nicht zu bremsen: In Porto Belo türme sich das Silber, beharrte er – folglich falle sein Wert verglichen mit dem des Goldes – und so herrsche in Spanien (wo Silbergeld verwendet werde) Inflation, da das Geld nicht mehr so viel wert sei wie früher, während in Frankreich sämtliche Goldmünzen gehortet würden, da man von einer künftigen Wertsteigerung des Goldes ausgehe. So habe Monsieur Esphahnian Unmengen von rasch im Wert sinkendem Silber besessen. Er hätte in die Levante segeln sollen, wo es immer eine Nachfrage nach Silber gegeben habe, aber das habe er nicht getan. Stattdessen sei er nach Amsterdam gesegelt, in der Erwartung, dort ein nicht näher bestimmtes, glänzendes Warengeschäft abzuschließen, das seine Wechselkursverluste mehr als wettmachte. Doch wie es der Zufall wollte, sei sein Schiff auf Grund gelaufen, und er habe sich in der Mangel des Dreißigjährigen Krieges die Eier gequetscht. Schweden sei zufällig gerade dabei gewesen, Holland zu erobern, als Monsieur Esphahnians Schiff sich langsam auf die Sandbank geschoben und sich danach nicht mehr bewegt habe; und, langer Rede kurzer Sinn, das Vermögen der Esphahnian-Dynastie sei, auf den Hintern eines schwedischen Packpferdes geschnallt, zuletzt in nördlicher Richtung gesichtet worden.
    Das war übrigens alles Material für einen ersten Akt – im Grunde sogar das Vorspiel; ein Theaterstück würde mit dem jungen Monsieur Esphahnian beginnen, der, in ein gestrandetes Schiffswrack gekauert, erläuternde Pentameter ausspuckte und dabei unglücklich ins Publikum schaute, so als blicke er der schwedischen Kolonne nach, wie sie sich in

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