Quicksilver
Ihr seid ein Gentleman«, rief Eliza über die Schulter, schleuderte die Kaninchenfellpantoffeln von sich und schritt barfuß durch den Sand auf den anderen Segler zu. »Ihr seid in der Nähe des Genfer Sees aufgewachsen. Könnt Ihr segeln?«
»Mademoiselle«, sagte Fatio und stieg vom Pferd, »mit einer solchen Besegelung fahre ich jedem Holländer davon. Ich brauche nur eins.«
»Nennt es.«
»Das Gefährt wird sich auf die Seite legen. Das Segel wird killen, und ich werde an Geschwindigkeit verlieren. Es sei denn, ich habe jemand Kleines, Behändes, Zähes und sehr Tapferes, der sich auf der Windseite aus dem Fahrzeug hinauslehnt und als Gegengewicht fungiert.«
»Dann wollen wir losfahren und den Verteidiger verteidigen«, sagte Eliza und kletterte an Bord.
Sie konnten sich unmöglich so schnell bewegen, wie es ihnen vorkam, jedenfalls sagte Eliza sich das, bis sie die Schwadron Blauer Gardisten einholten. Mit einem leichten Schwenk der Ruderpinne hätte Fatio sie im Bogen umfahren können, als stünden sie still. Stattdessen ließ er das Hauptsegel aus und brasste in den Wind, wodurch der Segler scheinbar auf Schrittgeschwindigkeit verlangsamte – und dennoch blieben sie auf einer Höhe mit den galoppierenden Gardisten. Der Segler fiel auf alle drei Räder zurück, sodass Eliza, die sich auf der kurz zuvor noch hochliegenden Seite weit hinauslehnte, um ein Haar mit dem Kopf im Sand landete. Zum Glück hielt sie mit beiden Händen eine Leine gepackt, die Fatio um den Mast geknotet hatte, und war imstande, sich rascher daran hinaufzuziehen, als der ihr entgegensausende Sand sie treffen konnte. Und nun blieben ihr ein paar Augenblicke, um sich Gischt und Sandkörnchen aus dem Gesicht zu wischen und ihr Haar zu einem feuchten Knoten zu schlingen, der ihr kalt und rau im Nacken lag. Fatio hatte durch Gestikulieren und Rufen in einem Mischmasch von Sprachen einige der Blauen Gardisten auf sich aufmerksam gemacht. Etwas kam, sich in der Luft überschlagend, auf sie zugeflogen, klatschte gegen das Hauptsegel und glitt die gewölbte Leinwand herab in Fatios Schoß: eine Muskete. Es folgte, von einem anderen Gardisten geworfen, eine zweite, die knapp über sie hinwegwirbelte, sich mit dem Lauf voran in den Sand bohrte und, während die Brandung ihren Schaft umspülte, achteraus zurückblieb. Nun kam eine Pistole auf sie zugeflogen, die Eliza, endlich bereit, mit einer Hand aus der Luft fangen konnte.
Sofort ging Fatio an den Wind, und der Segler machte einen Satz vorwärts. Er setzte sich vor die Gardisten und schwenkte dann von der Brandung weg auf trockeneren und festeren Sand ein. Eliza hatte Zeit gehabt, die Pistole in ihre Mantelschärpe zu stecken und sich das Seil fest um die Hände zu schlingen; mit aller Gewalt holte Fatio die Brassen an, und der Segler ging so heftig an den Wind, dass er beinahe kenterte. Eines der Räder drehte sich in der Luft und schleuderte Sand und Wasser auf Eliza, die über den Rand kraxelte, die nackten Füße auf das Ende der Achse stemmte und das Seil durch ihre tauben Hände gleiten ließ, bis sie fast waagerecht lag und (wenn sie überhaupt etwas sah) auf das Fahrgestell des Seglers schaute.
Es kam ihr in den Sinn, sich zu fragen, ob sie nun schneller fuhren, als Menschen jemals gefahren waren. Eine Weile stellte sie sich vor, es wäre so – dann schaltete sich die Naturphilosophin in ihr mit der Beobachtung ein, dass Eisboote weniger Reibung zu überwinden hatten und deshalb wahrscheinlich noch schneller fuhren.
Warum war sie dann so freudig erregt? Weil sie trotz der Kälte, der Gefahr und der Unsicherheit darüber, was sie am Ende der Fahrt vorfinden mochten, eine Art Freiheit verspürte, eine Ausgelassenheit, die sie seit ihrer Vagabundenzeit mit Jack nicht mehr erlebt hatte. Alle Sorgen und Intrigen von Versailles waren vergessen.
Wenn sie den Hals reckte, konnte sie aufs Meer hinausblicken. Dort herrschte der übliche dichte Küstenverkehr, aber es handelte sich hauptsächlich um Schiffe mit dreieckigen Segeln. Die jacht des Duc d’Arcachon mit ihren viereckigen Segeln müsste eigentlich auffallen. So meinte sie denn auch, ein Stück weit im Norden einen Rahsegler mehrere Meilen vor der Küste liegen zu sehen – das musste die Météore sein! Bestimmt war das Beiboot im Morgengrauen an Land gekommen und auf den Strand gezogen worden, damit der Prinz es nicht vorzeitig bemerkte.
Fatio faselte schon seit ein paar Minuten über die Bernoullis – Schweizer
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