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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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alles durchschaute, was da vor sich ging, dass ich aus der Sänfte sprang und den Flur entlang in die Freiheit rannte. In Wirklichkeit jedoch war ich vollkommen verblüfft. Und in dem Augenblick, als ich mich in diesem mir unbekannten Raum wiederfand, wurde ich von einer starken Wehe erfasst, die mich hilflos machte. Als der stechende Schmerz nachgelassen hatte, lag ich in diesem Bett; Dr. Alkmaar und die anderen hatten mich aus der Sänfte gezogen. Die Träger waren längst weg.Wer immer diesen Hinterhalt geplant hatte – und ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, wer das war – hatte sie entweder dafür bezahlt, mich zu dem falschen Raum zu bringen, oder sie irgendwie davon überzeugt, dass das meinem eigenen Wunsch entsprach. Ich hatte keine Möglichkeit, eine Nachricht nach draußen zu schicken. Ich konnte um Hilfe schreien, aber Frauen, die in denWehen liegen, schreien immer um Hilfe. Und es war bereits eine Menge Hilfe in dem Raum.
Dr.Alkmaar war alles andere als ein herzlicher Mensch, aber er galt als kompetent und (was beinahe ebenso wichtig war) loyal. Falls er mich ausspionierte (wovon auszugehen war), würde er meine Geheimnisse Wilhelm von Oranien erzählen, der sie ohnehin schon kennt. Dr. Alkmaar wurde assistiert von einem seiner Schüler (dem jungen Mann) und zwei Mädchen, die in diesem Raum eigentlich gar nichts zu tun hatten. Als ich fast neun Monate zuvor auf einem Kanalschiff mit Eleonore und Caroline in Den Haag angekommen war, hatte Wilhelm versucht, mich meiner hohen Stellung entsprechend mit den Rudimenten eines Hofstaats zu versehen. Das tat der Prinz von Oranien nicht, weil ich es wollte, sondern weil es sich so gehört und es lächerlich erschien, eine Herzogin ohne Dienerschaft und ohne Gefolge als Gast in einem königlichen Palast zu beherbergen. Er schickte mir zwei junge Frauen. Sie waren beide Töchter unbedeutender Adliger, die für eine gewisse Zeit bei Hofe dienten, auf einen Ehemann warteten und wünschten, sie wären stattdessen in Versailles. Da das Ausspioniertwerden durch Angehörige des eigenen Hofstaats das Herzstück der Palastintrige ist, hatte ich darauf geachtet, alle meine Gespräche mit Eleonore an Orten zu führen, wo keins der beiden Mädchen uns belauschen konnte. Später war ich in Huygens’ Haus umgezogen, hatte sie aus meinen Diensten entlassen und dann völlig vergessen. Nach einer engen Auslegung des Hofprotokolls waren sie jedoch streng genommen immer noch Angehörige meines Hofstaats, ob ich sie wollte oder nicht. Das legte mein umnebelter Verstand sich bei dem Versuch, Sinn in diese Ereignisse zu bringen, als Erklärung zurecht.
Für die Beschreibung verschiedener Qualen und Demütigungen verweise ich Euch erneut auf den Klartext. Der entscheidende Punkt im Sinne dieser Darstellung ist, dass ich, als die schlimmsten Krämpfe mich überkamen, im Grunde nicht bei Bewusstsein war.Wenn Ihr daran zweifelt, Doktor, esst ein paar verdorbene Austern und versucht dann, genau in dem Moment, wo Eure Eingeweide Euch schier zerrei ßen, ein paar von Euren Berechnungen durchzuführen.
Am Ende eines solchen Krampfes warf ich durch halb geschlossene Augen einen Blick hinunter auf Dr. Alkmaar, der mit hochgerolltem Ärmel und einer Armbehaarung, die durch irgendeine Art von Feuchtigkeit an seiner Haut klebte, zwischen meinen Oberschenkeln stand. Ich schloss daraus, dass er in mir gewesen war und ein bisschen geforscht hatte.
»Es ist ein Junge«, verkündete er, mehr an die Zuschauer als an mich gewandt – an der Art, wie sie mich ansahen, konnte ich erkennen, dass sie dachten, ich schliefe oder sei deliriös.
In dem Glauben, es sei alles vorbei, öffnete ich ein klein wenig die Augen, denn ich wollte das Baby sehen. Aber Dr. Alkmaar stand mit leeren Händen da und lächelte nicht.
»Woher wisst Ihr das?«, fragte Brigitte – eins dieser beiden Mädchen, aus denen mein Hofstaat bestand. Brigitte sah aus, als gehörte sie ans Butterfass auf einem holländischen Bauernhof. In vornehmer Kleidung wirkte sie dick und fehl am Platz. Sie war harmlos.
»Er versucht, mit dem Hinterteil zuerst rauszukommen«, sagte Dr. Alkmaar zerstreut.
Brigitte stockte der Atem. Trotz der schlechten Nachricht tat mir das gut.Wegen ihrer Nettigkeit hatte ich Brigitte langweilig und dumm gefunden. Jetzt war sie der einzige Mensch im Raum, der Sympathie für mich empfand. Am liebsten wäre ich aus dem Bett gesprungen, um sie zu umarmen, aber das erschien nicht besonders praktisch.
Marie –

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