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Quintessenzen

Quintessenzen

Titel: Quintessenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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du gelegentlich über Sätze förmlich stolpern, die dir nach dem Aussprechen klingend die Beine wegziehen, die dich in Tränen ausbrechen lassen und erschüttern – in ganz unerwarteter Weise, denn gedacht oder hingeschrieben hast du diese Sätze vermutlich schon öfter, ohne dass sich irgendein Effekt eingestellt hat. Aber durch das Aussprechen eines entscheidenden, tief gefühlten Satzes wie »Ich hasse (Namen einsetzen)« oder »Es tut mir leid, (Namen einsetzen)« oder »Du hast mir weh getan, (Namen einsetzen)« holst du etwas, was bis dahin keinen Widerhall finden konnte, hinein in einen Resonanzraum, der nicht nur ein akustischer ist, sondern ein viel größerer: Das, was dich im Innersten be wegt, quält, antreibt, ist nämlich auf diese Weise plötzlich lebendig geworden, im Feld, am Licht, präsent, nackt – und damit plötzlich für dich auf ganz andere Weise begreifbar und zu verarbeiten als vorher, als es nur in deinem Denken und Fühlen präsent war – aber stumm, ohne Widerhall.
    Zugegeben, das tut oft weh. Im ersten Moment. Es gibt den einen oder anderen schlichten Kernsatz, nach dessen Aussprechen man eine halbe Stunde heult wie ein Schlosshund. Aber die Belohnung folgt auf dem Fuße, denn erst jetzt kannst du mit dem, was du benannt hast, tatsächlich umgehen, weil es draußen ist, wo du es jagen und zähmen und ihm einen Sattel auflegen kannst. Eines gewinnst du qua Aussprache in jedem Fall: Die Ängste, die im Schutz der Dunkelheit gedeihen und dich jagen und antreiben, stehen ausgesprochen nackt da. Und oft erweisen sie sich so als klein, lächerlich und tatsächlich: beherrschbar.
    Skepsis
    Es erübrigt sich, dich zur Wachsamkeit aufzufordern, denn du bist weder bequem noch leichtgläubig und wirst daher immer skeptisch bleiben und infrage stellen, was als gesichert gilt oder was »man eben macht«. Allerdings darf deine gesunde Skepsis sich nicht nach außen erschöpfen. Betrachte daher nicht nur die »allgemeingültigen« Erklärungen und die Motive anderer mit kritischem Blick, sondern auch deine eigenen. Du hast meistens Recht, wenn du anderen unterstellst, ihre Motive seien weniger edel, als sie selbst behaupten. Das aber gilt auch für dich und es ist hilf reich, sich das klarzumachen und einzugestehen (wenn auch nicht unbedingt den anderen, denn das geht die nichts an).
    Unsere Motive sind durchgehend egoistischer Natur, auch wenn wir sie mehr oder minder geschickt maskieren. Selbst Altruismus ist kanalisierter Egoismus, denn wir haben im Lauf der Jahrmillionen gelernt, dass wir mit einem platten »Alles meins« mittelfristig nicht weiterkommen (da andere dankbar von uns lernen). Zu scheinbarer Selbstlosigkeit in Form des zur Schau getragenen Aufopferns für andere findest du ein paar Sätze mehr unter → Aufmerksamkeitsrelation , hier wollen wir nur konstatieren: Halten wir unsere eigenen Motive nicht für edler, als sie es sind. Sie sind immer egoistisch.
    Unsere egoistischen Motive sind allerdings nicht per se vernünftig, dummerweise. Denn es ist nicht gesagt, dass dein bewusst oder unbewusst egoistisches Handeln dir auch tatsächlich nützt. Solange du dir nämlich nicht über dein wahres Wesen und deine wahren Motive im Klaren bist, wird dir dein Handeln oft schaden, ganz gleich, ob die Motive für dich selbst erkennbar egoistisch sind oder dir altruistisch erscheinen.
    Wo und wie findest du skeptische Sucherin dein wahres Wesen? Das Wichtigste bei dieser Suche ist: Halte nichts an dir für gesetzt (abgesehen von unveränderlichen körperlichen Merkmalen, also eigentlich nur deiner Augenfarbe ohne Kontaktlinsen und deiner Körpergröße). Es steht nicht in deinen Genen, dass du vorsichtig sein, Angst haben oder schüchtern oder verwegen oder sonst was sein musst . Es steht höchstens drin, dass du diese Möglichkeit hast. Du bist mithin jederzeit frei ( → J. C. ), dich anders zu verhalten, als du es gerade tust.
    Verhaltensweisen brennen sich allerdings ein. Es ist immer dasselbe Muster, bei allen intelligenten Lebewesen. Eine zum ersten Mal eintretende Situation erfordert Verhalten – Denken, Fühlen, Handeln. Ob das nun der erste Tag im Kindergarten ist oder der erste Tag, an dem ein Säbelzahntiger vor einem steht. Die erste Konfrontation mit jeder neuen, wegweisenden Situation prägt unser Verhalten für den Rest unseres Lebens. Weglaufen erweist sich im Fall Säbelzahntiger als richtige Idee, wird also tief in deine Synapsen pro grammiert. Aber wenn wir das Kind

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