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Quintessenzen

Quintessenzen

Titel: Quintessenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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unserer Hauptfigur, aber wie alles von genau → Jetzt an weitergeht und ob das Ende sich zufriedenstellend oder frustrierend anfühlt, hängt ganz entscheidend davon ab, wie wir die Vorgeschichte erzählen. Haben wir die nämlich krumm und falsch geschildert, kann auch der Rest der Story nicht gelingen, ganz gleich, wie sehr wir uns bemühen. Drum: Gönnen wir uns gelegentlich einen kompletten versuchsweisen »Re-Write«, und zwar rechtzeitig. Denn nichts ist tragischer als ein Mensch, der erst auf dem Sterbebett kapiert, dass er sich seine eigene Lebensgeschichte von Anfang an falsch erzählt hat.
    Außer vielleicht Menschen, die’s nicht mal dort kapieren.
    Handeln und Entscheiden
    Dass das Nichtstun dem Fehlermachen vorzuziehen sei, ist in unserem Denken genauso fest verankert wie in unserem Rechtssystem. »Ich hab doch gar nichts gemacht!« klingt nach Freispruch, unterlassene Hilfeleistung ist weniger verwerflich als Mord, das Lassen jedem möglicherweise schädlichen Handeln vorzuziehen, ergo ist auch das Zögern besser als Handeln. Diese halb bewusste Ansicht ist weitverbreitet, aber ganz falsch. Denn sich nicht zu entscheiden ist auch eine Entscheidung, da die Welt um dich herum nicht wartet, bis du mit Zaudern fertig bist. Und so handelst du, indem du nicht handelst – indem du Dinge geschehen lässt. Es handeln dann zwar andere (oder schlicht die Natur), aber im Ergebnis hast du eine Entscheidung getroffen. »Ich hätte mich entscheiden sollen« gibt es nicht. Es gibt nur »Ich hätte mich anders entscheiden sollen als zum Nichthandeln«, und »Ich hab doch gar nichts gemacht!« ist keine Entschuldigung, wenn Dinge schiefgehen.
    Du solltest eine Fehlentscheidung jederzeit dem Nichtstun vorziehen. Passivität macht unglücklich, denn bei ungünstigen wie bei günstigem Ausgang wirst du das Gefühl haben, etwas versäumt zu haben. Also: Mach lieber Fehler als gar nichts richtig.
    Zugegeben, der Idiot ist hierbei immer im angeborenen Vorteil, denn er hat nichts abzuwägen und nichts zu verlieren – nicht mal seinen Verstand. Wenn Handeln gefragt ist, hilft es daher, sich vor sich selbst dümmer zu stellen, als man ist.
    Die besondere Zusatztücke an Entscheidungen liegt indes darin, dass wir ständig welche treffen (müssen), obwohl wir noch gar nicht über alle entscheidungsrelevanten Erkenntnisse verfügen. Das ist besonders fies in jungen Jahren, deshalb bemühe dich möglichst früh um Selbsterkenntnis: Was bist du – was ist deine wahre innere Stimme, was die innere Stimme eines anderen? Hast du → Angst – oder ist es die Angst anderer, in deren Obhut du aufgewachsen bist? Ziehst du tatsächlich die Künstlerlaufbahn einem »sicheren« Job vor? Oder spricht da nur die Stimme deines Vaters? Ziehst du einen »sicheren« Rentenanspruch vor und sortierst deshalb dein Leben lang Zettel, obwohl du Zettel stinklangweilig findest? Oder spricht da nur die Stimme deiner Mutter, deines Opas oder die von Ursula von der Leyen? Zugegeben – »wenn wir alle in uns gingen, wo kämen wir denn da hin?« (Tucholsky), aber in diesem Fall gilt’s: Geh in dich.
    Aber während du das tust, bleibt es beim siehe oben: Mach lieber Fehler als gar nichts richtig.
    PS : Eine Zusatzbemerkung unter Perfektionisten, die sich mit dem endgültigen »Handeln« (lies: Liefern) manchmal besonders schwer tun, weil sie die Abgabe einer in ihren anspruchsvollen Augen nicht hundertprozentigen Arbeit (sei es ein Buch, ein Film oder ein Essen) für eine Beleidigung der Empfänger halten. Sobald du dich bei solchen hinderlichen Gedanken ertappst, erinnere dich an die Trägheit der Masse, also daran, dass etwas desto mühsamer noch weiter zu beschleunigen ist, je schneller es bereits fliegt, oder weniger physikalisch an das sogenannte Gesetz des abnehmenden Grenznutzens – exemplarisch verdeutlicht an der Zubereitung eines sehr guten oder eines perfekten Drei-Gänge-Menüs: Erreichen wir mit einer Stunde Aufwand ein zu 95 bis 96 % gelungenes Essen, erreichen wir mittels einer zusätzlichen Stunde Aufwand schon 96 bis 97 % . Investieren wir vier Stunden, erreichen wir 98 % , danach nimmt der Zusatznutzen proportional ab. Zu Erreichung von 99 % benötigen wir schon 80 Stunden, zur Erreichung annähernder Perfektion (99,99 %) benötigen wir 800 Stunden. Was insofern dumm ist, als unser Essen a) nach 800 Stunden Zubereitung kalt ist und b) keiner unserer Gäste den Unterschied zwischen dem 95 %-Essen und dem 99,99 %-Essen überhaupt bemerkt.

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