Quipu
ihr wird nichts passieren. Das habe ich Ihnen schon mehrmals zu verstehen gegeben, aber Sie wollen es einfach nicht begreifen. Ich habe früher oft für Uminas Vater gearbeitet. In seinem Haus war Carvajal immer hochwillkommen. Was glauben Sie, weshalb?«
»Was wollen Sie damit andeuten, Sie elender Kerl?«, schrie Sebastián aufgebracht.
Gálvez sah ihn herausfordernd an. Seine Soldaten bauten sich um ihn herum auf. Da wurde Sebastián bewusst, dass eine Schlägerei mit dem Kreolen unvorhersehbare Folgen haben konnte, |313| und das zu einem Zeitpunkt, in dem Umina sich in größter Gefahr befand. Er musste sich beherrschen.
»Wenn wir den Geiseln in der Manufaktur helfen wollen, ist es unsere Pflicht, die nächstgelegenen Truppen zu verständigen. Und genau das gedenke ich nun zu tun«, erklärte der ehemalige Unteroffizier, und dann befahl er seinen Männern, die Reise auf der vorgesehenen Route bis Cuzco fortzusetzen.
Ohnmächtig und mit geballten Fäusten mussten Sebastián und Qaytu mit ansehen, wie sie davonritten. Sie blickten sich an. Sosehr es sie auch zuzugeben schmerzte, Gálvez hatte doch recht: Die Behörden würden die Sache nicht im Einzelnen untersuchen, und wenn sie erführen, dass sie an einem Überfall beteiligt gewesen waren, würden sie schlichtweg als ein paar Angreifer mehr gelten. Vor allem, wenn ihnen Condorcanquis Ansprache an die Indios und die ihnen zuteil gewordene Unterstützung zu Ohren käme. Und sähe man ihn, Sebastián de Fonseca, in einen Aufstand solchen Ausmaßes verstrickt, konnte er seine Karriere an den Nagel hängen: seine langen Studienjahre, die Bestrebungen seines Vaters, seine Beförderung mit dem finanziellen Ruin zu erkaufen, wären völlig umsonst gewesen … Und nicht nur das. Er würde zu einem Gesetzlosen werden. Denn kein Gericht würde die Beteiligung eines Offiziers an einem derartigen Unterfangen dulden, ganz gleich, wie viele persönliche Gründe er dafür vorbrächte.
Hinzu kamen die unmittelbaren Gefahren. Sie waren nun ohne bewaffneten Schutz. Trotz seiner Bemühungen, den Maultiertreibern den Umgang mit der Waffe beizubringen, waren diese doch mehrheitlich unerfahrene Schützen, die nicht auf ihre eigenen Leute schießen würden. Und die aufgebrachte Menge drang weiter in Richtung Tuchmanufaktur vor, ohne dass irgendjemand sie hätte aufhalten können.
»Gibt es einen sicheren Ort, wo die Maultiere auf uns warten können?«
Qaytu nickte und wandte sich an einen seiner Männer, um diesem die nötigen Anweisungen zu geben.
|314| Als der Zug sich entfernt hatte, blickten die beiden sich an.
»Worauf warten wir?«,fragte Sebastián,und dann gaben sie ihren Pferden die Sporen und ritten in eine Klamm, die nach und nach enger wurde, bis sie vor der Mauer zur Manufaktur haltmachen mussten.
Gálvez hatte keineswegs übertrieben, als er von der Stärke dieses Schutzwalls gesprochen hatte. Neben dem Tor befanden sich Schießscharten, hinter denen bewaffnete Männer postiert waren, die nicht zögerten, diejenigen niederzuschießen, die sich direkt vor den Eingang wagten.
Doch die angreifenden Indios waren zahlreich, und obwohl sie bereits viele Tote und Verletzte zu beklagen hatten, waren sie zum Äußersten bereit. Ihre Waffen waren zum Großteil nur einfache Steinschleudern, doch trafen sie damit genau. Und erst recht, als sie begannen, die Steine vorher in ein paar schnell geschürten Lagerfeuern zu erhitzen, die wohl die trockenen Strohdächer der Manufaktur in Brand setzten, denn überall stiegen hohe Rauchsäulen auf. Bald würden die Angegriffenen das Feuer nicht mehr eindämmen können. Das wäre der Augenblick, Carvajals Besitz zu stürmen.
Sebastiáns größte Sorge war, dass es dann zu spät sein könnte, um Umina zu befreien. Und schlimmer noch würde es den als Geiseln genommenen Arbeitern ergehen, die eingesperrt oder angekettet waren. Qaytu wusste dies nur zu gut. Verzweifelt gestikulierend lief der Maultiertreiber hin und her und versuchte den Schützen klarzumachen, in welcher Gefahr sich die festgehaltenen Indios befanden. Doch diese zeigten nur auf ihre erschossenen Kameraden und erklärten ihm, es würde nie wieder eine solche Gelegenheit geben. Sie waren überzeugt davon, dass Carvajals Männer durch das Tor auf der anderen Seite fliehen und sie so die Indios würden befreien können.
Einer der wenigen, die Qaytus Sorge teilten, war der Indio, den sie in Abancay getroffen hatten. Er hatte wie Qaytu in der Tuchmanufaktur gearbeitet
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