Quipu
Überfall, bei dem der Punchao spurlos verschwand. Eine Gruppe treuer Indios griff Cristóbal de Fonsecas und Sírax’ Reisegesellschaft an und raubte ihnen den Götzen, den sie dann versteckten, in der Hoffnung, ihn eines Tages nach Vilcabamba zurückbringen zu können. Fonseca, Sírax und Sulca bestiegen in Callao ein geheimes Schiff der Gesellschaft Jesu, das sie nach Andalusien brachte, wo sämtliche unliebsame Zeugen beseitigt wurden. Und Sírax wurde in einem Kloster in Cádiz in Sicherheit gebracht.
Trotz Fonsecas Bemühungen hatte es Diegos Familie abgelehnt, Sírax bei sich aufzunehmen.
»Die Eltern wollten bestimmt keine Mestizen in ihrer Familie. Und der Zweitgeborene hätte so etwas auch nicht zugelassen«, murmelte Sebastián. »Erst recht nicht nach Diegos Bericht an Philipp II., in dem er Spaniens Vorgehen in Amerika scharf verurteilte. Seine Haltung machte die Chronik für das Machtstreben der Acuñas wertlos.«
»Was aber nicht verhinderte, dass trotzdem einer von ihnen sein Glück in Peru versuchte, wo er jenen Zweig der Familie begründete, aus dem Alonso Carvajal hervorging«, fügte Umina hinzu.
Doch Sírax hatte eine Frühgeburt, hieß es in dem Dokument weiter, und es kam zu Komplikationen. Sie wusste, dass sie sterben würde. Cristóbal de Fonseca war zu jener Zeit nicht bei ihr und konnte ihren letzten Willen nicht persönlich festhalten. Sírax erkannte, dass sie das Überleben ihres Sohnes nur sichern konnte, wenn sie ihn dem Jesuiten anvertraute, damit dieser ihn jemandem zur Adoption gäbe, der das Geheimnis hüten würde, bis die Umstände wieder günstiger wären. All dies musste mit |456| größtmöglicher Diskretion vonstatten gehen, damit ihr Sohn als Abkömmling der königlichen Inkafamilie nicht getötet würde. Vor die Entscheidung gestellt, entweder das Leben ihres Sohnes oder Vilcabambas Erbe zu retten, beschloss sie, für ihn Sorge zu tragen, doch ebenso eine Botschaft zu hinterlassen, die niemand außer die Ihren zu deuten wusste und die von ihren Nachfahren verstanden würde, sobald die Dinge sich änderten.
So befahl sie also ihrer Dienerin, ihr getreu den Knoten im roten Quipu den Weg nach Vilcabamba ins Haar zu flechten, den sie auswendig kannte und auch für die Bindung der Chronik verwandt hatte, damit Acuña fest mit ihr verbunden bliebe. Diese ließ sie dann Cristóbal de Fonseca aushändigen. Des Weiteren bat sie Sulca, sie nach ihrem Tode einzubalsamieren und für die Rückkehr ihres Leichnams zu sorgen, der dann im Sonnentempel von Cuzco beerdigt werden sollte.
Zurück in Cádiz, kümmerte Cristóbal de Fonseca sich dann um all diese Dinge. Offiziell wurde Sírax’ Leichnam in der Burg seiner Familie bestattet. In Wirklichkeit übergab er ihn jedoch ihrer Dienerin, die ihn zurück nach Peru bringen sollte. Ferner veranlasste er, dass der Blutknoten von Vilcabamba in das Wappen der Adoptivfamilie des Kindes aufgenommen wurde.
Dies alles hatte der Jesuit in diesem Dokument niedergeschrieben, das er Sírax’ Dienerin Sulca mitgab und das sie nun in Händen hielten.
Umina und Sebastián sahen sich an. Sie sagten nichts, doch war das auch gar nicht nötig, denn sie dachten beide dasselbe: Dies alles wäre niemals möglich gewesen ohne Sírax’ Vertrauen in die Zukunft der Ihren, ohne das stete Bestreben ihres Volkes, die Erinnerung zu bewahren – und das, obwohl sie über keine Schrift verfügten.
»Jetzt verstehe ich den Leidensweg dieser Frau«, sagte Umina leise. »Sie befand sich in einer schlimmen Zwickmühle: Entweder blieb sie ihrem Vermächtnis treu, oder sie sicherte das Überleben ihres Kindes.«
»Und die Rechte ihrer Nachfahren. Dadurch wird auch klar, |457| woher die ganzen Geschichten und Legenden kommen, die wir gehört haben.«
»Aber was passierte mit dem Sohn von Sírax und Diego de Acuña?«
»Die Familie mit dem Zeichen des Blutknotens kann keine andere als meine sein, die Fonsecas … Und ich bin der letzte Nachfahre.«
»Und was gedenkst du nun zu tun?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht. Wie haben denn die Inkas in solchen Zweifelsfällen entschieden?«
»Sie haben ihre Vorfahren befragt.«
»Ihre Mumien?«, wunderte sich Sebastián. »Wie soll das gehen?« »Sie haben ein Orakel befragt.«
»Dann brauchen wir auch eines.«
»Hier hast du es«, sagte sie und wies auf den Punchao. »Du wirst kein Besseres finden. Bei den wichtigsten Entscheidungen wurde er von den Inkas stets um Rat gefragt.«
In diesem Augenblick fiel ein
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