Rabenherz & Elsternseele
Wohnung für den Verwalter entstanden, der in diesem Fall auch der Falkner war. Im selben Hof wurden die Greifvögel gehalten.
Ich schlenderte durch einen brüchigen, steinernen Torbogen und ging an der roten Absperrleine entlang, die Besucher von den Holzhütten und Sitzstangen der Vögel fernhalten sollte.
Fast alle Tiere waren eingesperrt, nur drei saßen zusammengekauert draußen auf ihren Stangen, an denen sie mit Fußfesseln befestigt waren. Einer der Vögel war tatsächlich ein Habicht: Sein helles Brustgefieder hatte schöne dunkle Querstreifen. Ich blieb stehen und versuchte, die Merkmale zu erkennen, die Jori mir beschrieben hatte. Aber wie erwartet hatte ich keine Ahnung, ob der Vogel ihre Mutter sein konnte. Deshalb schnalzte ich mit der Zunge, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Der Habicht reckte seinen Hals und legte den Kopf etwas schief, was mich sofort an Jori erinnerte. Andererseits machten das vielleicht alle Habichte. Ich räusperte mich, schnalzte noch einmal und sagte schließlich »Hallo«, obwohl ich mir ziemlich blöd dabei vorkam.
»Kannst du die Vögel bitte in Ruhe lassen«, sagte da eine unwirsche Stimme hinter mir.
Ärgerlicherweise zuckte ich zusammen. »Entschuldigung. Ich wollte sie nicht ärgern oder sowas. Der Habicht guckt nur so … so hübsch. Ist das ein Weibchen oder ein Männchen?«
Stolz auf meinen Geistesblitz lächelte ich den Jungen an, der da hinter mir herangekommen war und mich angesprochen hatte. Er war vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich. Seine langen, dunklen Haare hingen ihm ins Gesicht, trotzdem war nicht zu übersehen, dass er grimmig guckte.
»Das ist ein Terzel. Fredo. Er ist drei Jahre alt und in Gefangenschaft, seit er ein Nestling war. Sein ganzes Leben also. Er kann nicht einmal richtig fliegen. Geschweige denn jagen.« Seine Miene war bei seinen Worten immer finsterer geworden.
»Oh. Ist das bei allen Vögeln hier so? Ich meine … Sind sie alle schon so lange gefangen?«
»Bei den meisten Vogelarten ist es zum Glück verboten, wilde Exemplare zu fangen. Aber egal. Wenn du es jetzt bitte lassen könntest, diese hier zu nerven, dann könnte ich zurück an meine Arbeit. Danke.«
Damit drehte er sich um, ging zurück durch den verfallenen Torbogen und verschwand aus meinem Blickfeld.
Ich atmete auf. Der Typ war wohl nur ein Tierfreund und hatte mich nicht in Verdacht, auf der Suche nach einem gekidnappten Nachfahren Tatanwis zu sein. »Tja, Fredo. Dann nichts für ungut«, sagte ich leise zu dem Habicht. Der döste längst wieder.
Leider konnte ich von den eingesperrten Vögeln nicht alle richtig sehen. Darum beschloss ich, noch zu bleiben und die Show abzuwarten. Dann würde ich nicht nur die Tiere, sondern auch den Falkner zu Gesicht bekommen. Zielstrebig machte ich kehrt, um mir im Laden eine Eintrittskarte zu kaufen.
Drinnen waren gleich neben der Tür dünne und dicke Bücher über die Burg, Prospekte für Touristen und Postkarten in einem Regal aufgereiht. Zur Greifvogelwarte gab es ein eigenes Heftchen. Gespannt blätterte ich es durch. Zuerst kam ein Kapitel zur Geschichte der Falknerei und der Beizjagd mit schönen Bildern von edlen Damen und Herren. Sie trugen mittelalterliche lange Gewänder und Falken auf ihren behandschuhten Händen. Es folgten Abschnitte zu den einzelnen Vogelarten, die auf der Burg gehalten wurden. Zuletzt kamen ein paar Seiten über die Vogelwarte und ihre Falkner.
Sicher stand in dem Heft nichts, was ich nicht in Omas Bibliothek ausführlicher nachlesen konnte. Aber weil mehr als zwei Seiten allein von Rudolf von Meutinger handelten, wollte ich es kaufen.
Beinah verließ mich allerdings der Mut, als ich zur Kasse kam und bemerkte, dass der Vogelfreund mit den langen Haaren dahinter stand. Mit einem gezwungenen Lächeln verlangte ich eine Karte für die Show.
Er funkelte mich missmutig an. »Die meisten Vögel werden nur eine matte Runde um die Burg drehen und dann wieder landen und um Futter betteln. Der Falkner wird was von fehlender Thermik erzählen, weshalb sie heute nicht gut fliegen können. Aber wenn du dein Geld dafür ausgeben willst – bitte! Kostet achtfünfzig. Und sechs für das Heft. Also vierzehnfünfzig.«
Das war allerdings happig. Aber zwanzig Euro hatte ich dabei. Und was tat man nicht alles, um möglicherweise entführte Vogelfrauen ausfindig zu machen und ihre Töchter loszuwerden. »Du machst ja nicht gerade Werbung dafür. Aber es interessiert mich nun mal, was hier
Weitere Kostenlose Bücher