Rabenherz & Elsternseele
die ganze Geschichte, wie ich sie erlebt hatte. Leider kam auch ihr keine zündende Idee, was Corax’ Befreiung betraf.
»Wir müssen noch einmal mit dieser Frau Winterstein sprechen. Und weil die Ärzte mich wohl noch eine Weile hier festhalten werden, ist das wieder eine Aufgabe für dich und deine Freunde.«
Auf ein weiteres Plauderstündchen mit Frau Winterstein hatte ich zwar überhaupt keine Lust, aber da ich mich für Corax’ Lage verantwortlich fühlte, hätte ich auch noch weit unangenehmere Aufgaben übernommen.
Als ein Krankenpfleger die Zimmertür öffnete, ohne sofort hereinzukommen, verabschiedete ich mich schnell von Oma, entwischte aus dem Fenster und flog mit Leander nach Hause. An diesem Tag zeigte er mir kein einziges Kunststück, sondern blieb an meiner Seite wie ein Leibwächter.
Ebenso besorgt um mich schien Strix zu sein, der während meiner Abwesenheit schon viermal angerufen hatte. Erst nachdem ich ihn am Telefon davon überzeugt hatte, dass ich nicht schon wieder in einer gefährlichen Mission unterwegs gewesen war, rückte er mit seinen eigenen Neuigkeiten heraus.
Corax hatte Briefe an Strix’ Eltern und an die Polizei geschrieben, bevor er zu unserem Kampf dazugestoßen war. Seinen Namen nannte er darin nicht, aber er gab alles zu, auch den anonymen Brief, den er dem Fahrradbesitzer geschickt hatte. Das reichte aus, um Strix’ Unschuld zu beweisen.
Wenn ich mich vorher schon wegen Corax schlecht gefühlt hatte, dann nun erst recht.
Es sprach mal wieder für Strix, dass er es genauso wichtig fand, Corax zu helfen, wie ich. Obwohl er ihn nach wie vor nicht ausstehen konnte.
Nachmittags wartete ich mit Jori in unserer Küche auf Strix und Bubo. Jori hatte überraschend eine nette Seite an sich gezeigt und Kekse gebacken. Das ganze Haus duftete nach Vanille und Mandeln. Ich hatte ihr ein bisschen geholfen, und dabei hatten wir uns zur Abwechslung mal richtig gut verstanden.
Während sie die Küche aufräumte, probierte ich den ersten Mandelkeks und schlug die Leserbriefseite der Zeitung auf. Zu meiner Enttäuschung war mein brillanter Brief nicht abgedruckt. Mich zu ärgern hatte ich allerdings trotzdem keinen Grund. Es gab in dieser Ausgabe nämlich nur Leser, die eine Lanze für die Rabenvögel brachen. Und damit nicht genug: Als ich weiterblätterte, fand ich auf der »Verblüffendes-Wissen«-Seite einen neuen Artikel zum Thema Vögel. Darin ging es darum, was für wunderbare, gemeinschaftsliebende und intelligente Tiere Rabenvögel wären. Schäckäckäck , dachte ich, und gleich juckte es wieder hinter meinem Ohr. Ich fand es schön, mir vorzustellen, dass unser Sieg über Kotanwi für den Stimmungsumschwung in der Stadt gesorgt hatte. Es fühlte sich an, als hätten wir ihn und seinen bösen Einfluss vertrieben.
Bubo hatte Frau Winterstein schon angerufen und ein Treffen für den übernächsten Tag mit ihr verabredet.
»Wir müssen herausfinden, was wirklich hinter ihrer Vogelfängergeschichte steckt«, sagte Strix.
Die Geschwindigkeit, mit der er Joris Kekse verputzte, ließ mich beschließen, möglichst bald auch welche zu backen.
»Ich glaube immer noch, dass die Geschichte wahr sein kann«, meinte Jori.
Bubo hielt sich mit einem Keks länger auf als Strix. Er knabberte kreisförmig vom Rand aus. Dafür machte er keine Pausen zwischen den Keksen. Die beiden Jungen hatten schon über ein Dutzend vernichtet, während ich noch meinen zweiten in der Hand hielt und sie beobachtete.
Bubo leckte sich Krümel aus den Mundwinkeln und schnaubte. »Was die miese Vogelscheuche veranstaltet hat, beweist doch, dass so ein Lied überflüssig wäre. Wenn Kotanwi Vögel anlocken will, dann weiß er schon, wie.«
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Ja. Aber vielleicht haben unsere menschlichen Feinde das noch nicht herausgefunden. Ich denke, wir sollten Frau Winterstein nicht alles erzählen, was wir erlebt haben. Was ist, wenn sie doch auf der falschen Seite steht?«
Am Tag der Verabredung marschierten wir erstklassig vorbereitet ins Historicum ein. Auf dem Weg zur Michelmühle brachten wir heimlich den schwarzen Rock zurück. Sogar Jori lachte mit, als wir Witze darüber rissen, wo wir uns noch überall Klamotten ausborgen würden, wenn wir mal wieder splitternackt gestrandet wären.
Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass wir vier eigentlich ein ganz gutes Team waren.
Frau Winterstein war noch nicht da, deshalb unterhielten wir uns über das Ende der Ferien
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