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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Männer, Frauen und Kinder waren dem Wahnsinn verfallen. Wir konnten sie nicht mehr retten. Danach geriet alles außer Kontrolle. Die Bauern taten sich zusammen, Dörfer vereinten sich und wurden von der neuen Freiheitsfront Ailyons unterstützt. Die Menschen verlangten die Volksherrscha -«
    »Das reicht«, sagte der Kaiser laut, und der General verneigte sich. Alle Blicke richteten sich erwartungsvoll auf den Herrscher, der vor wenigen Augenblicken noch in seiner Luchsgestalt gewesen war. »Ihr sagt, Spione aus Modos stifteten die Rebellion in Kossum an. Haben auch Krieger der Geschwisterstaaten um Ailyon gekämpft?«
    »Nein, Euer Majestät«, gestand der General. »Doch wir wissen, dass Modos und Ghoroma ihre Freiheitsprediger und aufwieglerischen Schriften in die Hauptstadt geschmuggelt haben. Erst nachdem wir Ailyon verloren hatten, kamen Truppen aus Modos, um die Stadt zu besetzen.«
    Eine Weile dachte der Kaiser darüber nach. »Der östliche Süden Kossums ist also verloren.«
    »Werden wir ihn wieder retten können?«, fragte die Kaiserin den General.
    »Mit genug Truppen. Sehr vielen Truppen. Die Menschen dort... die meisten werden sich nicht mehr bändigen lassen. Viele werden sterben müssen.«
    Die Kaiserin nickte ernst. Lyrian wusste, dass sie und alle anderen Drachen in der Halle an die wichtigen Handelswege dachten, die durch Kossum führten und Wynter wie eine Nabelschnur versorgten. Es ging nicht nur darum, die Menschen in Kossum zu retten, sondern auch Wynter.
    Lyrian ließ den Blick über die Reihen schweifen und las an den besorgten und verhärteten Mienen ab, wie viel man zu opfern bereit war. Wie viele Leben.
    In der Menge entdeckte er Augen, die seinen Blick direkt erwiderten: Scarabah saß auf der anderen Seite der Halle und beobachtete ihn ganz unverhohlen. Dass sie nicht an irgendwelche Aufstände in Kossum dachte, versuchte sie jedenfalls nicht zu verbergen.
     
    Von allen Teilnehmern der Versammlung waren sie und Lyrian die jüngsten. Diese Ehre hatte man ihr nicht nur erwiesen, weil ihr Vater ein bedeutsamer Drache war, sondern auch weil ihr Sieg bei den Juniorenturnieren der Kaiserin imponiert hatte. Scarabahs Talent in Kampf und Verwandlung hatte sich herumgesprochen.
    Nachdem sich die Versammlung aufgelöst hatte - es war beschlossen worden, Kossums Hauptstadt Ailyon von den Geschwisterstaaten zu isolieren -, schickte die Kaiserin Lyrian auf einen Spaziergang in die Gärten, was sie noch nie getan hatte. Scarabah sollte ihn begleiten.
    Als sie den Palast verließen, wählte sie eine anmutige Kombination aus ihrer Menschengestalt und dem Sturmfalken, während Lyrian sich mit seiner Schwalbe begnügte. Auf den Wiesen verwandelte er sich in den Fuchs, Scarabah in ihren weißen Tiger. Eine Weile liefen sie durch die rauschenden Gräser. Die Sonne brannte auf ihrem Fell. In den vergangenen zwei Tagen hatte er die Hallen und Beratungszimmer nicht verlassen - neuerdings bezogen seine Eltern ihn in alle Regierungsgeschäfte mit ein, sodass ihm wenig Zeit für sich blieb. Ob er nun als erwachsen galt, weil er in Kossum den Krieg gesehen hatte, oder ob seine Eltern ihn im Gegenteil stärker bewachen wollten, war ihm noch nicht ganz klar.
    In den Schatten einer alten Eiche, die auf einem Hügel stand, hielt Lyrian an und beobachtete den Fluss weiter unten, der sich glitzernd durch die Gärten schlängelte. An der Südseite des Palasts führte er hinaus und zog als Abwasserkanal durch Wynter. In der Wildnis erholte er sich vom Dreck der Stadt, wuchs mit mehreren anderen Strömen zusammen, teilte sich wieder und wuchs erneut zusammen... als befänden seine Mächte sich in einem ewigen Wechsel von Streit und Versöhnung.
    Scarabah nahm ihre natürliche Gestalt an. Die durchsichtigen Ärmel ihres Gewandes streiften ihn, als der Wind den Stoff bewegte.
    »Ich habe so viel von Euren Abenteuern in Kossum gehört, Majestät.« Ihre Stimme klang nach der Hitze eines späten Sommertages, flimmernd, schwer. »Dass Ihr Euch aus der Gewalt einer ganzen Räuberkarawane befreien musstet und fünfzig Krieger aus Ghoroma besiegt habt, ohne einen Korpus zu verlieren.«
    Lyrian verwandelte sich in den Jungen, um ihr sein müdes Lächeln zu zeigen, und ließ sich ins Gras sinken. »Wie Ihr seht, habe ich meinen Fuchskorpus verloren.«
    Sie kniete nieder, sodass sie mit ihm auf gleicher Höhe war. »Weil Ihr Eure Dienerin vor einer Meute wilder Menschen gerettet habt. Das war unendlich edel von Euch, Majestät.

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