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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Bäumen, solche wie hier. Und Ihr?«
    Er erzählte ihr von der Versammlung heute und von den Aufständen, die sich in Kossum ereignet hatten. Sie hörte ihm mit ernster Miene zu, und Lyrian versuchte, so verständlich wie möglich zu erklären, da sie wenig von diesen Dingen wissen konnte und auch nicht den Verstand eines Drachen besaß, um alles zu begreifen. Als er geendet hatte, schwieg sie.
    »Habe ich dich verwirrt?«, fragte er vorsichtig.
    »Vielleicht.« Sie zögerte. »Die Menschen in Kossum haben sich gegen das Drachentum erhoben und wollen sich fortan selbst regieren. Weil die Menschenherrschaft aber das Schlimmste ist, was Menschen zustoßen kann, tun die Drachen alles in ihrer Macht Stehende, um das zu verhindern.«
    Lyrian nickte. »Siehst du, du hast es begriffen. Das ist außergewöhnlich.«
    Ihr Lächeln wirkte mühevoll. »Ich bin mir nicht sicher. Die Freiheit der Menschen führt zu Zerstörung und Tod … aber wieso sollte ein Tod, den die Drachen ihnen bringen, besser sein? Ihr sagtet, zwei Dörfer wurden ausgerottet.«
    »Es war notwendig. Sonst hätte sich das Chaos von dort aus weiter verbreitet und noch mehr Dörfer und noch mehr Menschen ins Verderben gestürzt. Der Drang zu herrschen ist wie eine ansteckende Krankheit bei den Menschen, verstehst du? Sobald sie sehen, dass einer von ihnen Macht hat, wollen alle anderen sie auch. Anfangs mögen sie noch auf der gleichen Seite kämpfen, aber sobald sie keinen gemeinsamen Feind mehr haben, bekriegen sie einander. Es liegt in ihrer Natur. Ihre Gefühle machen sie zu neidisch, zu eifersüchtig, um vernünftig zu handeln. Jemand, der liebt, kann nie gerecht sein. Er wird sich und seine Liebsten immer über andere stellen.«
    Sie schwieg, und Lyrian fragte sich, ob er sie überfordert hatte. Fahrig zupfte er eine Erdbeere aus den Sträuchern. Ohne ihn anzusehen, begann sie zu sprechen.
    »Aber hier in Wynter... hier verlangen die Menschen keine Freiheit. Hier herrscht die Ordnung der Drachen, nicht wahr?«
    »Natürlich gibt es in der Wildnis Ausnahmen«, erwiderte Lyrian und dachte an die Ruinenräuber.
    »Wart Ihr oft in der Stadt?«, fragte sie unvermittelt.
    »Natürlich nicht.« Er wurde nervös. »Spione sind Drachen von niederem Rang.«
    »Und in den Ruinen, wart ihr da?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Woher wisst Ihr dann, wie es dort zugeht?«
    Überrascht betrachtete er die Kälte in ihrem Ausdruck. »Ich... bin der Prinz. Ich höre alle Berichte.«
    »Und Ihr zweifelt nie daran, dass man Euch die Wahrheit sagt?«
    »Unsere Informanten sind Drachen. Sie hätten keinen Grund zu lügen.«
    »Ich weiß aber, dass es in den Ruinen nicht gerecht zugeht.«
    Er starrte sie an. Nie hätte jemand gewagt, ihm so fest in die Augen zu blicken und dabei etwas Derartiges zu sagen. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Wie konnte sie sich trauen, so zu reden?
    »Als Mensch kannst du Recht und Unrecht nicht immer erkennen«, erwiderte er ruhig. Sie verschränkte die Arme, und ihr Mund wurde schmal, als hätte er etwas Unmögliches gesagt.
    Er lehnte den Arm aufs Knie. »Du bist also in den Ruinen gewesen.«
    Sie gab keine Antwort. »Aber Gildenmitglieder müssen doch nicht in die Ruinen.«
    »Nein. Wir müssen nicht.« Ihre Stimme ließ ihn schaudern. »Aber ich will nicht an der Wirklichkeit vorbeiblicken wie andere.«
    »Du...« Er versuchte, Worte zu finden für das, was er dachte. »Entweder es sind grundlose Gefühle, die dich dazu bringen, so zu sein, oder...« Wie sie ihn nun ansah - so hatte sie ihn angesehen, als er erschossen worden war. Wenn er sie damals nicht erträumt hatte. »Oder... du denkst dabei. Du denkst dabei etwas, das ich nicht... verstehe.«
    Sie antwortete nicht. Lyrian zupfte noch mehr Erdbeeren von den Sträuchern. »Vielleicht ist beides gleich bemerkenswert.«

Ein Gesicht
    E s war schon das siebte Mal, dass Lyrian nicht zum Lesen kam, und diesmal lag es nicht an seinen kaiserlichen Pflichten.
    Baltibb wartete eine Stunde bei der Pagode. Sie sah, dass jemand die Erdbeeren von den Sträuchern gepflückt hatte. Das Moos war platt gedrückt. Das Wasser in der Vogeltränke war still und trügerisch wie ein Spiegel, doch es atmete einen tückischen Duft aus, den Duft zarter Hände, die hindurchgeglitten waren. Baltibb sank in der Pagode auf den Boden, aber sie musste kein Haar von dem Mädchen finden, um zu wissen, dass Lyrian sie hergebracht hatte. Das Mädchen hatte keine so offensichtlichen Spuren für sie hinterlassen. Nur

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