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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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stopfte seine Pfeife. »Die Drachen wissen ganz genau, dass das Land vor einer Rebellion steht, und wenn die Gilden sich als neue Führer hervortun, könnte sie sogar gelingen. Deshalb bringen sie einen nach dem anderen um. Es zeigt nur, wie ernst die Gefahr für die Drachen tatsächlich ist.«
    Nachdenklich blickte Mion in ihren Tee. »Ich hoffe bloß … dass Atlas geflohen ist.«
    Jagu sah sie mitfühlend an. »Wenn wir erst das Ritual der Wintersonnenwende mitgemacht haben, können wir etwas bewirken. Dann bereiten wir den willkürlichen Verhaftungen ein Ende.«
    »Und was ist damit, dass die Gilden sich gegen die Drachen erheben wollen? Wir stehen dann nicht mehr auf der Seite der Menschen, Jagu!«
    Er lächelte mit hilfloser Zärtlichkeit. »Du bist zu klug, als dass ich dich aufmuntern könnte.«
    »Du musst mich nicht aufmuntern. Ich will... ich weiß nicht.«
    »Egal was passiert«, sagte er und berührte ihre Hand. »Wir beide gegen den Rest der Welt.«
     
    Sechs Tage vor der Theaternacht hörte Mion auf zu schlafen. Sie war einfach zu aufgeregt. Ob Lyrian kam? Was, wenn nicht? Und wenn doch? Sie verlor über ihren Grübeleien fast den Verstand und hätte sich am liebsten jedes Mal dafür geohrfeigt, diese dummen Fragen zu wiederholen, aber sie konnte es nicht verhindern.
    Dann war der Tag gekommen. Nach all den Wochen war sie noch immer so unsicher wie in jenem Moment, da Lyrian aus dem Fenster geflogen war. Sie schloss die Augen und presste sich beide Hände gegen den Bauch. Sie hatte eine furchtbare Vorahnung.
    Vormittags nahm sie ein langes Bad. Nachdem sie ein paar Bissen von ihrem Mittagessen hinuntergebracht hatte, kleidete sie sich für den Abend. Nervös wartete sie die Stunden ab. Als sie Osirils Glocke vernahm, war sie beinahe erleichtert, sich mit etwas ablenken zu können. Sie brachte der alten Meisterin ihren Nachmittagstee und ihr Lieblingsgebäck und blieb fast zwei Stunden bei ihr, um Geschichten aus ihrem Leben anzuhören, die Mion schon auswendig kannte.
    Endlich wurde es dunkel. Sie servierte Osiril noch das Abendessen, dann legte sie ihren Umhang an und wartete auf Jagu. Er erschien in einem grauen Wams und trug das Schaltuch und den Umhang wie damals, als sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte. Der kaum wahrnehmbare Tabakgeruch versetzte sie für Sekundenbruchteile in die Vergangenheit zurück, in eine andere Zeit, ein fast anderes Leben.
    »Bist du bereit?«, fragte er mit einer Ruhe, die dem harten Funkeln in seinen Augen widersprach. Mion nickte und hakte sich bei ihm unter. Draußen wartete bereits ein Wagenjunge.
    Als das Theaterhaus in der Dunkelheit erschien, wurde Mion schwindelig vor Aufregung. Beim Eingangstor tummelten sich Gestalten in prachtvoller Kleidung.
    »Keine Raben«, murmelte Jagu nach einem Blick in den Himmel. »Er ist hier.«
    Mions Herz raste. Gildenleute grüßten sie, aber sie nahm alles nur wie im Traum wahr. Im nächsten Moment saß sie in der vordersten Reihe des Theatersaals. Die Lichter waren gedämpft, Stimmen und Kleiderrauschen füllten die Luft wie Watte. Jagu war hinter die Bühne gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Mion wusste gar nicht, wie das heutige Stück hieß. Bestimmt hatte Jagu es ihr schon ein Dutzend Mal erzählt und sie hatte es wieder vergessen.
    Schließlich wurden die Lampen von Dienern gelöscht und alle Geräusche erstarben. Allein die Bühne blieb erhellt. Mion fragte sich, wo Jagu blieb, und reckte sich auf ihrem Sessel. Plötzlich sah sie, dass es kein Orchester gab. Tatsächlich - kein einziger Musiker!
    Die Vorhänge bewegten sich und Jagu trat auf die Bühne. Höflicher Applaus erscholl.
    »Meine lieben Freunde!«, rief er und breitete die Arme aus. »Ich heiße euch herzlich willkommen zur heutigen Theaternacht. Wie ihr alle wisst, habe ich diesmal aus der Vorstellung ein großes Geheimnis gemacht. Nun, bevor ich das Geheimnis lüfte, möchte ich eine besondere junge Dame auf die Bühne bitten, ohne die der heutige Abend gewiss anders verlaufen würde: meine Schülerin. Los, komm hoch!«
    Verdutzt sah Mion ihn an. Wieder applaudierte das Publikum. Sie erhob sich stockend, strich sich über den Rock und zwang sich zu einem Lächeln.
    »Na komm! Keine Scheu.« Jagu lächelte und klatschte.
    »Was hast du vor?«, murmelte sie, als Jagu ihre Hand nahm und sie auf die Mitte der Bühne führte. Er antwortete nicht, sah sie nicht einmal an. Mion folgte seinem Blick zum Eingang, der über einer breiten Treppe am Ende des Saales

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