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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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›Ihr‹ an, der solche Sachen trägt wie du. - Ich meine nicht den Eimer, sondern das Kleid!« Die Köchin stieß ein schnaubendes Lachen aus. »Du bist mir vielleicht eine. Na komm, was brauchst du denn?«
    Die Köchin füllte Mions Eimer mit Wasser und Mion dankte.
    »Aber nicht, dass du denkst, du könntest ab jetzt reinspazieren und Essen stibitzen, wie’s dir gefällt! Ein Quälgeist reicht mir...«
    Mion versprach es und kehrte etwas fröhlicher zum Atelier zurück. Wenigstens einen halbwegs wohlgesinnten Menschen gab es hier also. Dass die Köchin nicht so einschüchternd vornehm war, erleichterte sie.
    Als sie im Atelier ankam, stand Faunia im angrenzenden Raum und betrachtete nachdenklich das unfertige Gemälde auf der Staffel. Mion machte sich an die Arbeit.
    Knatternd ließen sich die Fensterläden öffnen. Licht flutete herein. Die dicken, welligen Glasscheiben waren nicht sauberer als die Gläser auf den Tischen und Mion seufzte leise. Damit würde sie anfangen.
    Sie stellte sich auf einen Holzschemel, tauchte den Lappen ins Wasser und machte sich ans Werk. Je mehr Fensterfläche sie geputzt hatte, umso deutlicher konnte sie den Garten unten sehen. Im Sommer, wenn die Schneedecken fort waren, musste es dort wie in einer versteckten Oase aussehen. Mion schwor sich, mindestens bis dahin hierzubleiben, selbst wenn noch drei Faunias im Haus wohnten.
    Als die Fenster geputzt waren, widmete Mion sich dem Fußboden. Sie fegte die ganze Fläche und warf den Staub aus dem Fenster, dann ging es mit frischem Wasser ans Schrubben. Die Wachsreste ließen sich nur mühevoll wegkratzen. Kopfschüttelnd sammelte sie verstaubte Scherben auf, die irgendwann achtlos in eine dunkle Ecke gefegt worden waren.
    So verstrich der Vormittag. Als die Tische sauber und alle Schalen und Töpfchen ordentlich gestapelt waren, setzte Mion sich auf den Schemel und begann, die Gläser in den Regalen abzustauben.
    Verwundert hielt sie die Behälter gegen das Sonnenlicht. In manchen waren Pulver von unbeschreiblich leuchtenden Farben, in anderen lagen große goldene Baumharzstücke und Wachs. Längliche Flaschen enthielten farblose Öle.
    In der obersten Regalreihe, halb verborgen hinter anderen Fläschchen und Gefäßen, entdeckte Mion noch andere Glasbehälter. Stockend nahm sie einen heraus. Ein toter Frosch schwebte geisterhaft und mit gespreizten Beinen in bräunlichem Alkohol. Im nächsten Glas lag eine zusammengerollte Klapperschlange. Daneben große schwarze Käfer, Grashüpfer, Spinnen und Eidechsen - es war, als hätte jemand versucht, eine Sammlung von Kleintieren zu erstellen.
    Nachdenklich wischte Mion die Gläser ab. Ohne dass sie es verhindern konnte, kam ihr Ritus in den Sinn. Fast alle Tiere wären dafür geeignet gewesen... und hatte Jagu nicht sofort gewusst, was Ritus war? Sie hatte immer gedacht, dass der geheime Kult nur ein Laster der Ruinen war, eine schmutzige, sündhafte Sucht der ärmsten Leute, von der die Bürger nicht einmal wussten.
    Nun schienen die Tiere sie aus ihren toten Augen anzustarren, entsetzt und anklagend wegen all der Artgenossen, die Mion auf dem Gewissen hatte... Nervös wischte sie die letzten Gläser ab und drehte sich um. Unsinn. Die Tiere waren tot, in den Gläsern nur noch ihre haltbar gemachten Körper. Ihr Atem war wahrscheinlich schon vor Jahren ins Jenseits verschwunden.
    Als sie zurücktrat, um ihre getane Arbeit zu betrachten, sah sie aus den Augenwinkeln Faunia, die vor einem großen, staubigen Spiegel stand. Sie hatte sich ein besticktes Schaltuch umgeworfen und war gerade dabei, verschiedene Schmuckstücke anzuprobieren: Perlenketten hingen um ihren Hals und ein mit Edelsteinen besetzter Samtreif steckte in ihrem Haar. War sie die ganze Zeit hier gewesen und hatte sich verkleidet?
    Irgendwo im Haus erklang lautes Klingeln. Faunia zuckte zusammen. Im nächsten Moment flogen Schaltuch und Reif auf den Sessel und sie stopfte sich den Schmuck in ihre Rocktasche. Zügigen Schrittes ging sie auf die Tür zu.
    »Ich bin fertig«, sagte Mion.
    Faunia sah sie nicht einmal an. Offenbar hatte das Läuten sie vergessen lassen, dass Mion existierte.
    »Was soll ich jetzt tun?«, versuchte sie es noch einmal.
    »Fass nichts an.« Damit war Faunia aus dem Atelier geschwebt.
    Mion lauschte, bis sich ihre leichten Schritte entfernten. Eine halbe Minute später verstummte das Glockenläuten abrupt. Dann war alles still.
    Sicherheitshalber trat sie an die Tür und spähte in den Korridor hinaus,

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