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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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wenn sie bloß gemalt waren.
    Das nächste Bild war nur halb fertig. Erstaunt erkannte sie die Frau vom vorherigen Gemälde wieder - hier loderte wildes rabenschwarzes Haar um ihr Gesicht, das einen sehr viel leidenschaftlicheren Ausdruck hatte als zuvor, obwohl Nase und Mund nur mit dünnen Kohlestrichen vorgezeichnet waren.
    Mion streckte die Hand nach einer weiteren Leinwand aus und zog sie näher, da fiel ihr Blick auf etwas, was vorher vom Gemälde verdeckt gewesen war.
    Eine Markierung.
    Eine lange Kreidemarkierung auf dem Holzboden.
    Sie führte aus den Schatten des Raumes bis zu einem Stapel Leinwände und verschwand darunter. Mions Herz pumpte schwer. Sie ließ das Gemälde los, folgte dem Kreidestrich und schob die zugedeckten Leinwände weg. Konnte es wirklich das sein...
    In der Ferne erklang ein zorniger Schrei, dann zerbrach Geschirr. Mion sprang hoch. Zwei Sekunden später war sie aus dem Zimmer gehastet und schloss eilig die Tür hinter sich.
    Als sie im Atelier ankam, sah sie Faunia, die am Ende des Korridors vorbeilief und wieder verschwand.
    Sie atmete auf. Eine Weile erwog sie, noch einmal in Jagus Zimmer zurückzugehen, doch der Mut hatte sie verlassen. Nicht auszudenken, wenn man sie erwischte. Aber die Kreidemarkierung... Sie schüttelte den Kopf. Bestimmt hatte sie sich geirrt - bestimmt war es etwas ganz anderes und hatte nichts mit Ritus zu tun. Schließlich verließ sie das Atelier und beschloss, den Rest ihres neuen Zuhauses zu erkunden.
    Sie schlich durch das große, stille Haus, öffnete Türen und fand leere Kaminzimmer, verlassene Salons und Schlafkammern, deren Boden eine Staubschicht überzog. Die meisten Räume waren schlicht möbliert und wirkten so, als hätte schon lange niemand mehr darin gewohnt. Mion umrundete den gesamten Hof einmal, ging das ganze Viereck entlang und kam wieder vor dem Atelier an. Viel Zeit schien vergangen zu sein - jedenfalls hoffte sie das. Wenn sie mit ihrer Hausbesichtigung fertig war, hatte sie wirklich nichts mehr zu tun. Wo war Jagu bloß? Irgendjemand musste sich doch um sie kümmern.
    Eine Weile überlegte sie, doch noch einmal in Jagus Zimmer zurückzukehren und sich die Kreidemarkierung genauer anzusehen. Aber sie widerstand dem Drang, Verdacht zu Gewissheit zu machen. Vielleicht weil sie die Wahrheit nicht wissen wollte …
    Grüblerisch lief sie eine Treppe hinab und stieß prompt ein zweites Mal auf die Köchin, die mit einer großen, dampfenden Schüssel vorbeieilte.
    »Mittagessen!«, flötete sie.
    Mion lächelte erleichtert. Jetzt, wo sie daran erinnert wurde, bemerkte sie ihren Hunger.
    Im Esszimmer, in dem sie schon gefrühstückt hatte, saßen Faunia und ein verdrießlich dreinblickender alter Mann. Er trug die schwarzen Roben eines Gelehrten und ein enges weißes Halstuch, durch das sich der Adamsapfel abzeichnete. Das zerknitterte Gesicht hätte gut zu einer Kräuterfrau gepasst, die zu viel Bittertee getrunken hatte, fand Mion. Faunia schenkte ihr keine Beachtung, als sie sich ihr gegenüber hinsetzte. Der alte Mann aber beobachtete sie unangenehm überrascht.
    »Und wer bist du ?«, fragte er unfreundlich.
    »Ich bin Jagus neuer Lehrling. Mein Name is-«
    »Für dich heißt er immer noch Meister«, fiel Faunia ihr mit zarter Stimme ins Wort. Ohne sie anzusehen, legte sie sich die Serviette auf den Schoß.
    Mion schluckte. »Ich heiße Mion.«
    Der Alte grunzte, seine Augen huschten zwischen ihr und Faunia hin und her. »Was soll man dazu sagen. Jetzt sind’s schon zwei. Lauter Weibsbilder.«
    Endlich begriff Mion. Groß sah sie Faunia an. »Du bist auch Jagus Lehrling?«
    Faunias hellgrüne Augen richteten sich eisig auf sie. Bevor sie antworten konnte, erschien eine stämmige junge Magd und stellte Brot und eine Wasserkaraffe zwischen die beiden.
    Dann schöpfte sie jedem von ihnen Suppe auf den Teller, setzte sich neben die Köchin und alle fingen zu essen an.
    Zögernd tauchte Mion ihren Löffel in die Suppe. Wo war Jagu? Und wieso aß das Gesinde an der Tafel? Alle hielten ihre Blicke gesenkt, es war offensichtlich, dass niemand vorhatte, sie aufzuklären.
    »Wer seid Ihr?«, fragte Mion rundheraus. Der Alte verschluckte sich an seiner Suppe und griff nach der Serviette. Aus den Augenwinkeln nahm Mion wahr, wie die Köchin sie amüsiert anblitzte.
    »Was?«
    »Ihr hattet Euch nicht vorgestellt, Herr.«
    »Morizius«, knurrte er. »Hausverwalter. Hocherfreut .« Mit einem bösen Funkeln in alle Richtungen widmete er sich wieder

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