Rabenmond - Der magische Bund
Fuchskorpusse.«
»Wieso?«, fragte Lyrian und warf den Grashalm weg, obwohl er die Antwort ahnte.
Accalaion brach in humorloses Lachen aus. »Sonst halten sie Euch noch für einen von ihnen!«
Die prachtvollen Villen der Gilden blieben zurück. Eine Weile sah Mion vom Wagen aus nichts als dunkle Bäume und hohe Hecken, hinter denen sich prächtige Anwesen oder auch nur unbewohnte Wildnis verbergen mochte. Dann kamen Mauern und Tore. Bei jedem Durchgang musste Jagu seinen Ring zeigen, damit sie passieren durften. Vor dem letzten Tor stiegen Jagu und Mion aus. Zwei Rudel Sphinxe in Menschen- und Löwengestalt bewachten den hohen, blattförmigen Eingang, vor dem eine kleine Menge versammelt war. In einer Reihe wartete man darauf, eingelassen zu werden. Auch Mion und Jagu mussten sich anstellen. Graugesichtige Sphinxe tasteten sie nach Waffen ab und so manche unschuldige Haarnadel landete in einer schweren Eisenkiste.
Hinter dem Tor führten die Sphinxe sie zu einem Flussufer, wo lange, mit bunten Laternen behängte Barken warteten. Mion und Jagu teilten sich mit weiteren Künstlern eine Barke und wurden von schweigsamen Dienern den Fluss hinaufgerudert.
In der lilafarbenen Dämmerung sah Mion den Palast aufragen. Wie riesig die weißen Türme waren! Wie Säulen aus fest gewordenen Wolken, wie Brücken zwischen Himmel und Erde. An manchen klaren Tagen hatte sie den Palast von den Dächern der Ruinen aus erkennen können, aber immer nur verschwommen und fern, wie an den Horizont gepinselt. Das Verwirrende war, dass der Palast aus der Nähe noch unwirklicher schien als von weit weg - als würde der Verstand sich weigern, etwas so Gigantisches als Teil der Realität zu akzeptieren.
Die Barke glitt unter tief hängenden Weiden hindurch. Laternen glommen ringsum im Wäldchen, und nicht nur das, auch Löwenaugen leuchteten aus dem bläulichen Dickicht. Man ließ den Besuchern keinen Zweifel daran, dass sie bewacht wurden.
Während die anderen Fahrgäste ausgelassen miteinander plauderten, saß Mion schweigend neben Jagu und hielt Ausschau, ohne recht zu wissen, wonach. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Jagu nervös mit dem Griff seines Gehstocks spielte, ihn in den Händen drehte und mit den Fingern darauf trommelte.
Dann lichteten sich die Weiden und offenbarten einen gläsernen Pavillon, wie eine vergrößerte Laterne, die alles in ihrer Umgebung, den Fluss und die Weiden und die Wiesen mit glitzerndem Gold übergoss. Mion hatte nie etwas Schöneres gesehen.
Als die Fährmänner die Barke ans Ufer steuerten, wo bereits andere Gäste an Land gingen, richteten sich alle auf und zupften verstohlen an ihren Umhängen, Roben und Frisuren. Am Ufer wurde die Barke vertäut und einer nach dem anderen ging an Land. Jagu ließ Mion den Vortritt, und sie hakte sich bei ihm unter, als sie einen der breiten Kieswege zum Pavillon hinaufschritten. Plätschernde Musik und fröhlicher Lärm wogten heran. Von überall aus der Dunkelheit strömten schillernde Gestalten herbei. Und hier und da war Mion sicher, dass das glänzende Fell, die prächtigen Federn nicht zum Gewand gehörten …
»Bleib ganz ruhig«, murmelte Jagu ihr zu, und zwar mit einer solchen Grabesstimme, dass er eher den gegenteiligen Effekt erzielte. Mion sah zu ihm auf: Er wirkte ganz ausdruckslos und bleich. Sie gluckste.
»Wenn du ohnmächtig wirst, fang ich dich nicht auf. In dem Kleid kann ich mich nicht bücken.«
Er schien sie gar nicht gehört zu haben, sah sie aber an und blieb stehen, kurz bevor sie die Stufen erreichten, die zum Pavillon hinaufführten. Er nahm ihre Hand. »Du siehst wunderschön aus.«
Ein zittriges Glühen schoss durch ihren Körper bis in ihre Stirn. Sie hatte das Gefühl, etwas sagen zu wollen und es vergessen zu haben. Jagu lächelte unsicher, die Lichter des Pavillons schwebten geisterhaft in seinen Augen.
»Er muss dich einfach bemerken. Und er wird in die Falle tappen, das weiß ich.«
Das Glühen sank so schnell ab, wie es gekommen war. Mion zwang sich zu einem ernsten Nicken. »Verdammt, du solltest mir endlich sagen, wer es überhaupt ist.«
»Er wird zu dir kommen. Ganz bestimmt.«
Alles andere als überzeugt folgte sie ihm in den Pavillon. Sobald sie eintraten, vergaß Mion ihre Skepsis - sie vergaß alles.
Lichter, Glanz, Prunk, wohin man sah. Und Menschen. Nein, Drachen.
Drachen in allen Gestalten.
Tigeraugen in einem schneeweißen Gesicht, blau gefiederte Wangen, silbrige, spitze Ohren, Elfenbeinzähne
Weitere Kostenlose Bücher