Rabenmond - Der magische Bund
Meister!«
»Ein schöner Meister. Lässt seine Lehrlinge gegeneinander antreten, wer den anderen zuerst glatzköpfig rupft, darf tanzen gehen.«
In die Stille hinein begann er zu kichern. Und ob sie wollte oder nicht - verdammt, sie musste mitlachen. Jetzt sind wir wohl alle wahnsinnig, dachte Mion. Und dass sie das nicht einmal schlimm fand, war wohl der beste Beweis dafür.
Das Fest
D er Himmel wölbte sich lila und veilchenblau über den Palastgärten. Maidüfte schwangen in der Luft, von süßem Harz und Gräsern und dem letzten schwachen Hauch des Winters. Libellen schwirrten über verwunschenen Weihern und Bächen.
Lyrian und Accalaion hatten den heutigen Unterricht an die frische Luft verlegt und gingen spazieren. Accalaion trug seine lange silberne Robe über den Arm gelegt, damit sie nicht schmutzig wurde. Lyrian schnippte gedankenverloren Kieselsteine auf den Weg oder zupfte Halme und Blätter ab. Ein Marienkäfer ließ sich auf seinem Handrücken nieder - der erste Marienkäfer in diesem Jahr -, und er beobachtete das kleine Geschöpf, das die Landschaften seiner Hände erkundete.
»Wie vielfältig die Natur ist, nicht wahr?«, meinte Accalaion. Er atmete tief ein und blickte zu den müden Kastanienbäumen auf, die den Kiesweg säumten. Lyrian wusste, dass sein Lehrer den Spaziergang nicht halb so sehr genoss, wie er vorgab. Immer wieder spähte er aufmerksam um sich, was keineswegs am Anblick des blühenden Frühlings lag, sondern weil ihm »draußen« zu sein, noch dazu in seiner natürlichen Gestalt, unangenehm war.
»Vielfältig, höchst vielfältig... und es gibt immer neue Tiere, die man entdecken und als Korpus wählen kann.«
Der Marienkäfer spreizte die Flügel und flog davon. Besser so, dachte Lyrian und konnte sich ein bitteres Lächeln nicht verkneifen. Accalaion beobachtete ihn aufmerksam. Das tat er schon, seit Lyrian wieder da war: Er analysierte ihn, prüfte, wie er sich verändert hatte, was in ihm vorging. Offen fragte er Lyrian natürlich nicht, aus welchen Gründen er geflohen und wieder zurückgekehrt war. Man sprach den künftigen Kaiser nicht so direkt an. Man horchte ihn nur aus.
Lyrian merkte, dass sein Lehrer ihn mit mehr Respekt behandelte. Ob es an den Heldenmärchen lag, die die Kaiserin verbreiten ließ, oder an der Unberechenbarkeit, die man in ihm entdeckt zu haben glaubte, konnte Lyrian nicht sagen. Im Grunde spielte es auch keine Rolle, weil er ebenso wenig ein Held war wie unberechenbar.
»Nun dauert es noch sechs Monate«, seufzte Accalaion. »Dann haben wir endlich wieder die Wintersonnenwende, nicht wahr? Ihr habt sie ja bitter nötig.« Er lachte bedacht. »Im ersten Jahr so mit seinen Korpussen umzugehen... da seid Ihr wirklich eine Ausnahme, Majestät.«
Sie erreichten einen Hügel. Die Bäume lichteten sich und sie konnten auf einen hell beleuchteten gläsernen Pavillon hinabblicken, der in der Umarmung eines Flusses lag. Fackeln umsäumten die Ufer und hohe Banner bewegten sich in der Abendbrise. Diener, klein wie weiße Insekten von hier aus, trafen die letzten Vorbereitungen für das heutige Gildenfest.
Lyrian zerfranste einen Grashalm. Die Kaiserin hatte vor, ein Dutzend Kunstwerke zu seinen Ehren in Auftrag zu geben.
Wieder seufzte Accalaion. »Heute werdet Ihr ihnen zum ersten Mal gegenübertreten. Habt Ihr noch Fragen, wie Ihr mit ihnen umgehen sollt?«
Lyrian schüttelte den Kopf. Er war den Menschengilden bis jetzt vielleicht nie offiziell begegnet, aber er hatte sie schon lange beobachtet. Seit er klein war, hatte er die Menschen gesehen, die die Drachen unterhielten und Kleider und Schmuck fertigten - manchmal hatte er sogar das Gefühl, dass er der einzige Drache war, der sie sah. Jedenfalls kannte er niemanden sonst, der ernsthaftes Interesse an ihnen zeigte.
Zur Sicherheit wiederholte Accalaion: »Wählt Eure Worte mit Bedacht und bewahrt im Zweifelsfall Schweigen. Vergesst nicht, die Menschen sind uns unterlegen, aber sie sind von Natur aus tückisch. Ihr verkörpert die höchste Macht der Welt, mein Prinz, gerade vor den Menschen müsst Ihr Euch dessen bewusst sein. Sie sind auch misstrauisch. Ihr Misstrauen ist die Kehrseite ihrer natürlichen Sehnsucht nach Schutz und Führung.«
Er klopfte Lyrian vertraulich auf die Schulter und wirkte dabei selbst höchst angespannt. »Denkt immer daran, dass sie unsere Kinder sind, aber sie sind auch unberechenbar. Und ruft Euch die Schwalbenflügel auf, und ein paar Akzente der
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