Rabenzauber
Illusion?
Phoran war an einem Hof voller Magier aufgewachsen. Die Illusionen, die er gesehen hatte, waren bestenfalls geringere Magie, schlimmstenfalls einfach nur Taschenspielertricks gewesen. Jeder wusste, dass Unglaube eine Illusion brechen konnte - einer der Gründe, wieso man Illusionisten für zweitrangige Magier hielt.
Phoran versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass der Bann nur eine Illusion war, etwas, was er brechen konnte. Selbstverständlich kann ich mich bewegen - das habe ich mein Leben lang getan. Wie könnte ein Magier mich mit einem einzigen Wort aufhalten?
Das Problem mit dem Unglauben bestand darin, dass Willon ihn tatsächlich mit einem einzigen Wort hatte aufhalten können - es war schwer, etwas nicht zu glauben, wenn es so eindeutig geschehen war. Was für eine Geschichte, die er einmal seinen Kindern erzählen konnte, deren künftige Existenz
er nun allerdings ernsthaft bezweifelte … Wie ein Zauberer bürgerlicher Herkunft den Kaiser mit einem einzigen Wort besiegte, weil der Kaiser so willensschwach war, es zu erlauben.
Phoran wurde wütend, und das gefiel ihm. Er war Kaiser, und kein Zauberer hatte das Recht, ihm seinen Willen aufzuzwingen. Er schob beiseite, dass ihm erst vor Kurzem klar geworden war, wie wenig ein Bauer und ein Kaiser sich unterschieden. Er war kein Barde. Hier ging es nicht um Wahrheit , sondern um einen Händler-Illusionisten von bürgerlicher Herkunft, der sich einbildete, das Recht zu haben, einem Kaiser Befehle zu erteilen.
Niemand erteilte ihm Befehle. Hatte er nicht eigenhändig dreizehn Septs hingerichtet, die geglaubt hatten, mehr Macht zu haben als der Kaiser?
Phoran schloss die Augen und klammerte sich an die tiefste Überzeugung, die der Säufer, der er einmal gewesen war, gehabt hatte. Ein Kaiser war jedem Zauberer überlegen. Er war Kaiser Phoran der Siebenundzwanzigste. Niemand, niemand erteilte ihm Befehle!
Er trat vor und wusste mit vollkommener Sicherheit, dass sein rechter Fuß sich heben und sein Gewicht sich verlagern würde. Er stolperte und öffnete die Augen. Er hatte es geschafft.
Er rollte Rufort herum, aber der Gardist war schlaff. Seine Augen standen offen und waren mit Blut überzogen. Phoran schloss Ruforts Augen.
»Ruhe wohl, mein Freund«, sagte er und ging zu Ielians anderen Opfern.
Aus Kissels Brust ragte der blutige Griff eines Messers.
Phoran zog rasch seine eigene Waffe. »Keine Sorge«, sagte er, als Kissel die Augen aufriss. »Ich will dich nicht von deinem Elend erlösen. Ich will nur Verbandsmaterial zurechtschneiden, bevor ich dieses Messer herausziehe.«
Er zog sein eigenes Hemd aus und schnitt es in Streifen. Die Mode verlangte in diesem Jahr weite Ärmel, und er dankte seinem Schneider, als er die Ärmel zu einer Kompresse faltete. Ein rascher Blick auf Kissels Rücken zeigte ihm, dass es dort kein Blut gab. Das Messer war nicht ganz hindurchgegangen, also musste sich Phoran nur um eine einzige Wunde kümmern. Er versuchte, nicht an irgendwelche inneren Verletzungen zu denken, während er Streifen seines Hemds zusammenknotete, bis der Verband lang genug war. Dann schnitt er Kissels Hemd auf, um einen besseren Blick auf die Wunde werfen zu können.
Halte die Blutung auf, sagte er sich. Um den Rest würden sich die anderen kümmern müssen.
»Ich ziehe das Messer jetzt heraus«, sagte er zu Kissel. »Mach dich bereit.«
Er stellte sich hinter Kissel, als er das Messer herauszog, sodass der Gardist gegen ihn fallen würde, wenn er aus dem Gleichgewicht geriet. Er zog so schnell er konnte und zuckte bei dem Geräusch von Stahl an Knochen zusammen. Als Ielians Messer draußen war, ließ er es auf den Boden fallen und drückte die Kompresse aus Hemdsärmeln so fest wie möglich gegen die Wunde, dann verband er Kissels Brust mit dem Tuchstreifen.
Als er den Verband so fest geschlossen hatte, wie er konnte, zog er Kissel gegen sich. Kissel war kein Leichtgewicht, aber obwohl er mehr wog als Phoran, konnte der junge Kaiser ihn auf den Boden legen, ohne ihn noch mehr zu verletzen.
Sobald er sich um Kissel gekümmert hatte, ging er zu Gura. Der große schwarze Hund atmete immer noch, aber er hatte die Augen geschlossen, und es gab zu viel Blut auf den Pflastersteinen.
»Ich muss zu Rinnie«, sagte er zu Gura, dann zögerte er und ging mit dem Messer zu Toarsen. »Ich brauche dein Hemd.«
Er brauchte lange, um den Hund zu verbinden, aber zumindest wusste er danach, dass er getan hatte, was er konnte.
»Folgt
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