Rache - 01 - Im Herzen die Rache
drehte sie sich um und stürzte auf den Gang hinaus. Sie rannte. Keuchend, das Herz kurz vorm Explodieren, rannte sie um ihr Leben.
Drei Schwestern und ein Arzt liefen an ihr vorbei in die entgegengesetzte Richtung.
»Notfallcode! Notfallcode!«, hörte sie sie hinter sich rufen.
Und gerade bevor sie außer Hörweite war: »Code Black.« Sie rannte weiter, knallte in die Kälte wie gegen eine Wand und hörte dabei die Worte im Geist immer wieder.
Code Black. Sie wusste, was das bedeutete.
Sasha Bowler war tot.
Kapitel 21
»JD? JD, bist du da?« Em brüllte in ihr Handy. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob er überhaupt schon abgenommen hatte. Diese Sache im Krankenhaus … sie bekam das Bild nicht mehr aus dem Kopf. Bereit, als Nächste zu bezahlen, Em?
Grauenvolle Gedanken wanden sich wie Aale durch ihr Hirn. Sasha war tot; Chase auch. Er musste sterben, weil sein Verhalten zu Sashas Tod geführt hatte.
Jetzt würde Em bezahlen müssen. Sie würde für etwas bezahlen, was sie jemandem angetan hatte: Auge um Auge.
Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind. Das hatte sie mal irgendwo gehört.
»Em? Hallo?« Sie hörte JDs Stimme nur schwach.
»JD!?«
»Em, geht’s dir gut?«
»Oh mein Gott, JD.« Sie weinte jetzt. »Ich hab sie gesehen.«
»Wen hast du gesehen? Em, was ist los?«
»Das … das kann ich dir nicht erklären. Ich muss bezahlen – und ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat.« Inzwischen war sie hysterisch, rang nach Luft und musste heftig schlucken.
»Em. Beruhige dich. Komm einfach her und lass uns über alles reden.« JDs Stimme war Balsam für ihre Seele.
»Alles ist gut. Alles ist gut. Alles ist gut.« Sie wiederholte die Worte, um sich selbst davon zu überzeugen.
»Em, so habe ich dich noch nie erlebt. Soll ich dich abholen?«
»Nein. Nein. Mir geht’s gut. Ich komme schon.« Sie startete den Wagen und fuhr langsam los, während sie nur noch daran dachte, zu JD zu gelangen und sich von ihm in den Arm nehmen zu lassen.
Sie stellte den Klassiksender im Radio an und hoffte, die Musik würde ihre rasenden Gedanken beruhigen. Sie wusste, dass es nur eins gab, was sie in letzter Zeit getan hatte und was Grund genug sein könnte, dafür bezahlen zu müssen. Die einzige Verfehlung, für die Rache einen Sinn ergeben würde: Zach. Was sie mit dem Freund ihrer besten Freundin getan hatte. Was sie für ihn empfunden hatte. Wie wenig sie ihre Gefühle hatte kontrollieren können – wie wenig sie sie hatte kontrollieren wollen. Das waren Sünden, ganz bestimmt. Sie kämpfte gegen das Gefühl an, dass ihr jeden Augenblick schlecht werden würde.
Du sollst nicht begehren deiner besten Freundin Freund.
Während sie noch darüber nachdachte, sich dabei auf die Unterlippe biss und zwanghaft die Haare aus der Stirn strich, sah sie hinter sich ein Auto näher kommen. Merkwürdig; denn sie hatte beschlossen, über die Peaks Road, eine normalerweise kaum befahrene Nebenstraße, nach Hause zu fahren. Es ging ein bisschen schneller, wenn man die Kurven geschickt nahm. Auf der Gefällestrecke musste man allerdings vorsichtig sein. Besonders im Winter.
Der Wagen näherte sich unwirklich schnell. Und als er nur noch ein paar Autolängen hinter ihr war, begann er mit dem Fernlicht zu blinken. Es blendete wie eine Discokugel in ihrem Rückspiegel, sodass sie in der Dunkelheit fast nichts mehr erkennen konnte.
Was zum Teufel? Em beschleunigte etwas. Das Blinken ging unverändert weiter.
Und dann, im Bruchteil einer Sekunde zwischen den Lichtblitzen, überkam sie ebenso blitzartig blankes Entsetzen: Bestimmt war das diese schreckliche blonde, unheimliche Ali, die sie schon seit Wochen verfolgte.
Diejenige – das begriff sie jetzt –, die ihr zum ersten Mal die Blume hatte zukommen lassen, diejenige, die ihr wahrscheinlich diese Nachricht in die Manteltasche gesteckt hatte.
Kaum war ihr der Gedanke gekommen, war sie sich ganz sicher. Ali war hinter ihr her. Und dieses Mal sollte sie so enden wie Chase. Sie würde diejenige sein, die bezahlen musste.
Em bog in heller Aufregung schnell links ab und fuhr die Old Mark’s Lane hinunter. Dann nach rechts in die Pemaquid Road. Der Wagen war immer noch hinter ihr, jetzt sogar noch dichter. Voller Panik fuhr sie um die Haarnadelkurve in der Permaquid und zurück auf die Peaks. Der Wagen folgte ihr, kam immer näher, selbst als sie schon glaubte, es wäre gar kein Platz mehr zwischen ihren Stoßstangen. Sie atmete jetzt kurz und schnell, die
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