Rache - 01 - Im Herzen die Rache
Augen weit aufgerissen. Und als sich die beiden Autos schließlich der gefährlichsten Stelle des steilen Gefälles der Peaks Road näherten, knallte der andere Wagen schräg von hinten in sie hinein. Vom Moment des Aufpralls an verlief alles wie in Zeitlupe, als ob man dabei zusähe, wie das Billardqueue die Kugel 8 genau an der richtigen Stelle trifft. Em spürte, wie ihr Wagen direkt auf eine niedrige Schneeverwehung zusteuerte. Und dann blieb er mit einem fürchterlichen Ruck darin stecken.
Es war keine Zeit, sicherzugehen, dass ihr nichts passiert war. Wie eine Wahnsinnige stürzte sie aus dem Auto und taumelte in die Nacht. Sie war völlig verzweifelt. Zwang ihre Füße, sich zu bewegen, obwohl die sich nur schwerfällig über den Boden schleppen ließen. Schluchzer schüttelten ihren Körper. »Geh weg! Aufhören! Aufhören!«
Nach ungefähr fünf Metern merkte sie, dass diejenige, die sie verfolgte, ebenfalls schrie.
»Schon gut!«, rief eine Mädchenstimme. »Schon gut! Ich bin’s, Drea. Aus der Schule!«
Em verlangsamte ihr Tempo, aber nur ein kleines bisschen. Sie drehte sich um, bewegte sich jedoch weiter, rückwärts, stolperte über Äste und Gestein, der Atem noch immer rau in ihrer Kehle.
»Ich bin’s, Drea Feiffer. Mit deinem Wagen stimmt was nicht.« Drea trat in das Licht von Ems Scheinwerfern und zeigte sich nun ganz. Stand da, in ihren Klamotten in den Farben der Nacht: von oben bis unten schwarz, grau und silber. Eine Seite ihres Kopfes hatte sie kurz geschoren und dabei ein paar schwarze Strähnen lang gelassen, die asymmetrisch über ihre linke Wange fielen. Sie hielt die Hände in die Höhe, wie zum Beweis, dass sie in friedlicher Absicht gekommen war. »Ich war hinter dir auf der Peaks, da hab ich bemerkt, dass etwas aus deinem Auto ausläuft. Ich hatte Angst, es könnte vielleicht Bremsflüssigkeit sein.«
Em war heilfroh, aber plötzlich auch ganz schön wütend. Meinte diese Tussi das etwa ernst? Sie hatte Ems Wagen von der Straße gedrängt, weil sie dachte, er würde Bremsflüssigkeit verlieren?
»Ehrlich. Mein Freund Crow hat mir einiges über Autos beigebracht. Ich hab gesehen, dass du auf das abschüssige Stück zufährst, und Angst gekriegt, dass du nicht mehr anhalten kannst. Irgendwie hatte ich plötzlich so einen komischen sechsten Sinn. Also hab ich dich von der Straße befördert, ganz sachte nur. Es war doch bloß ein kleiner Stups.«
»Du bist mir hinten draufgefahren, weil du dachtest, es könnte vielleicht etwas mit meinem Wagen nicht stimmen?« Em schüttelte den Kopf und versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Mit einem Schaudern fiel ihr plötzlich wieder ein, woher sie gerade kam. Aus dem Krankenhaus. Aus Sashas Zimmer. Sasha war tot und Drea wusste noch nichts davon. Em beruhigte sich etwas, öffnete die geballten Fäuste und schob sich das Haar aus dem Gesicht.
»Lass uns mal nachsehen. Wenn ich mich getäuscht habe, dann lasse ich dein Auto von meinem Dad kostenlos reparieren.«
»Und wie genau willst du das machen mit dem Nachsehen?« Em beugte sich vor und legte die Hände auf die Knie, um zu Atem zu kommen. Die Welt um sie herum drehte sich noch immer ein bisschen.
»Ich hab einen Werkzeugkasten im Auto.« Seltsamerweise streckte Drea Em ihre Hand hin. »Tut mir echt leid, dass ich dich erschreckt habe. Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
Em wandte sich ab, ihr war ganz schlecht. Sie nahm Dreas Hand nicht an. »Bringen wir es einfach hinter uns, okay? Es ist verdammt kalt hier draußen.« Sie lief ein bisschen schneller, teils weil sie fror, teils weil sie Dreas fragendem Blick entkommen wollte.
Während Drea sich eine Taschenlampe nahm, mit dem Kopf unter der Motorhaube verschwand und leise vor sich hin murmelte, hielt Em sich etwas abseits. Sie verschränkte die Arme, hüpfte ein wenig von einem Fuß auf den anderen und spürte bei jedem Atemzug die eiskalte Luft in der Lunge brennen. Der Wald links von der Peaks Road war dicht und tief. Er gehörte zum Galvin Naturschutzgebiet, wo die Jungs immer Basketball auf dem zugefrorenen See spielten. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, ihn zu erkennen, doch sie schaffte es kaum, durch den ersten Streifen Gebüsch zu sehen.
Drea klapperte und fluchte unter der Motorhaube und tauchte wenig später ziemlich mitgenommen wieder auf. Dann legte sie sich mit leicht resignierter Miene auf die salzige, mit Schneematsch bedeckte Straße und schob sich unter Ems Wagen.
»Kann ich
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