Rache - 01 - Im Herzen die Rache
weiter. »Nichts. Vergiss es. Es ist bloß …« Er machte Witze, das war alles. Oder? Doch dann, bevor sie noch ein Wort sagen konnte, streckte er seine zur Faust geballte Hand aus.
Em sah ihn verdutzt an. »Was ist …« Noch ehe sie den Satz beenden konnte, öffnete er die Faust. Auf seiner Handfläche lag einer der silbernen, spiralförmigen Ohrringe, die sie früher am Abend getragen hatte. Ihre Hände wanderten rasch zu beiden Ohrläppchen – und tatsächlich, der rechte Ohrring fehlte.
»Er lag unten auf dem Läufer. Ich wusste, dass er dir gehört. Du hast sie letzte Woche bei Lauren getragen.«
Und dann, gerade in dem Moment, als Em ganz sicher wusste, dass dies definitiv das Zeichen war, auf das sie gewartet hatte – Ach du Scheiße, ach du heilige Scheiße, genau wie bei Mom und Dad und diesen blöden Bommeln! –, hörten sie Gabbys Stimme.
»Mir geht’s gut«, sagte sie gerade in einem Tonfall, der ihre Worte Lügen strafte. Dann gab es ein lautes Krachen, als wäre sie in etwas hineingeknallt, gefolgt von einem Kicheranfall. Kurz darauf erschien sie in der Tür, wankend am Arm von Fiona Marcus festgeklammert. Ihr normalerweise geschmeidig glänzendes Haar war eine einzige Katastrophe und ihre Halskette war verkehrt herum nach hinten gedreht. »Zachie, Em, mir geht’s apselut gut.«
»Oh, Schätzchen, du bist ziemlich hinüber«, erwiderte Zach und von einer Sekunde auf die andere war die emotionsgeladene Atmosphäre verschwunden wie die Luft aus einem zerstochenen Luftballon. Er legte Gabby den Arm um die Schulter und löste sie sachte von Fiona. »Willst du nicht lieber nach Hause gehen?«
Em nahm rasch wieder ihre Beste-Freundin-Rolle ein und versuchte, die letzten Augenblicke, für die sie sich selbst ein bisschen hasste, wegzuwischen.
»Wo ist denn dein Mantel, Süße? Zach bringt dich nach Hause.«
Gabby machte eine fahrige Handbewegung in Richtung Bett und lallte: »Da drüben. Unn wassnmitdirlos, Emmie? Du sssiehs aus, als wär dir Ghostface pssönlich erschienen.« Sie gluckste.
»Ich kümmere mich um den Mantel«, sagte Em über Gabbys Kopf hinweg zu Zach, ohne dem Ghostface-Kommentar weiter Beachtung zu schenken. Diesen Spitznamen hatten sie einem Typen verpasst, der früher mal auf ihre Schule gegangen war. Er hatte die Angewohnheit gehabt, ständig durch die Gänge zu laufen, Selbstgespräche zu führen und die Leute viel zu lange anzustarren. Doch dann war er irgendwann von der Schule abgegangen. Er hieß Colin oder »Crow«, wie einige ihn nannten, und Em realisierte gerade mit einem neuen Anfall von schlechtem Gewissen, dass auch er einer von Drea Feiffers Freunden war. Genau wie Sasha. Noch jemand, über den sie sich einfach lustig gemacht hatten, bloß weil es so leicht war. Sie schüttelte den Kopf, unfähig, das alles zu verarbeiten.
Zach drehte sich um, um Gabby zurück nach unten zu bringen. Em durchwühlte zweimal den Stapel auf dem Bett und suchte nach Gabbys sündhaft teurem Mantel – schwarze Wolle mit Gürtel, aufgepeppt mit einer riesigen herzförmigen Strassbrosche. Doch selbst nachdem sie eine ganze Weile gesucht hatte (auch unter dem Bett und in dem merkwürdigerweise leeren Schrank), konnte sie ihn nicht finden. Gabby musste ihn irgendwo versteckt haben und hatte dann sicher einfach vergessen, wo genau; es würde ihr bestimmt einfallen, wenn sie erst wieder nüchtern war.
Also wankte Gabby an Zachs Arm davon. Er hatte ihr seine Jacke geborgt, die sie praktisch komplett einhüllte. Die beiden zusammen in der Nacht verschwinden zu sehen, verursachte bei Em ein Gefühl, als hätte sie gerade einen Mundvoll Sägemehl eingeatmet.
»Wir kriegen weiße Weihnachten!«, riefen die Partygäste und versuchten, mit ihren Zungen Schneeflocken zu fangen, als Em und JD ein paar Minuten später auf dem Weg zum Auto waren. Ihr Atem kondensierte in der kalten Luft zu kleinen Wölkchen.
»Was für eine seltsame Nacht«, sagte JD, als er die Wagentür für Em öffnete. Sie nickte bloß. Ihr Kopf fühlte sich an, als stünde er in Flammen, so viele Gedanken rasten darin herum.
Zach. Gabby. Sasha Bowlder. Mein Gott – Sasha. Es gab so vieles, was einen in einer einzigen Nacht in den Wahnsinn treiben konnte.
JD musste zum Wenden dreimal zurückstoßen, bevor er wieder Ians Straße hinunterfahren konnte. Sie saßen stillschweigend da; es war, als hätten die Ereignisse des Abends körperliche Gestalt angenommen und sich zwischen sie gesetzt. Em starrte aus dem Fenster auf die
Weitere Kostenlose Bücher