Rache - 01 - Im Herzen die Rache
zugepirscht.
»Bleib mir verdammt noch mal vom Leib«, sagte er und trat nach ihr, während er in weitem Bogen um das ekelerregende Spektakel herumlief, um zu seinem Auto zu gelangen.
Was gut anfing, ging immer beschissen aus. Er hatte es gewusst. Er hatte es genau gewusst. Er hätte sich nie so sehr darauf einlassen sollen. Zum Teufel mit ihr.
Und dann bekam er ihre SMS-Nachrichten, gleich mehrere hintereinander, wie eine Flut, die durch Risse in einem Staudamm dringt. Die erste: Chase? Bist du da? Es tut mir so, so, so leid. Und die zweite: Bitte antworte! Chase? Tut mir so leid, dass ich viel zu spät bin. Eine Familienangelegenheit. Ich konnte nicht weg. Und dann: Bitte lass es mich erklären. Ich konnte da nicht raus. Ich hab’s ehrlich versucht. Bitte, du bist mir wirklich wichtig. Tut mir leid.
Er versuchte, weiter wütend zu sein. Doch er merkte, wie er sofort weich wurde. Sobald ihr Name auf dem Display auftauchte, spürte er wieder dieses unaufhaltsame Verlangen, sie zu sehen, in ihrer Nähe zu sein, den Duft ihrer Haut einzuatmen und mit dem Klang ihres Lachens davonzuschweben. Ihm wurde ganz schwindlig, so übermächtig war der Drang. Er fuhr rechts ran und tippte: Sei nicht albern. Ist schon gut. So was passiert mal. Lass uns einfach einen neuen Termin finden.
Er setzte sich wieder in Bewegung. Das Gebläse schnaufte wie ein Ackergaul und trotzdem blieb die Windschutzscheibe ganz grau und fleckig. Er blickte auf und merkte, dass er kaum darauf geachtet hatte, wohin er fuhr. Er näherte sich der Piss-Brücke, die den Highway überspannte. Seit Sashas Selbstmordversuch hatte er es vermieden, hier entlangzufahren. Es war ihm zu unheimlich. Doch jetzt war er hier. Sein Handy meldete eine neue SMS.
Er streckte sich, um danach zu greifen, und wandte für den Bruchteil einer Sekunde den Blick von der Straße. Im selben Moment geriet er mit den Rädern auf das Eis. Sie blockierten, gerieten ins Rutschen und sein Wagen schleuderte heftig nach rechts. Chase war sich sicher, so wie in Panik geratene Menschen sich sicher sind, dass er gleich mitsamt dem Auto durch die Leitplanke rauschen würde.
Er schlingerte, während der vordere Teil seines Wagens geradeaus fuhr und das Hinterteil sich hin- und herbewegte wie ein Fischschwanz. Das Lenkrad ruckelte unter seinen Händen und reagierte nicht. Er würde runter auf den Highway stürzen, genauso wie Sasha.
Doch dann hatte er die Bewegung plötzlich wieder unter Kontrolle, er befand sich auf der richtigen Spur und der Boden unter ihm war griffig.
»Ach du Scheiße.« Sobald er die Piss-Brücke hinter sich gelassen hatte, fuhr Chase rechts ran. Und sagte noch einmal: »Ach du Scheiße.« Sein Puls raste, sein Kopf fühlte sich an, als sei er vom Rumpf getrennt. Die Knöchel seiner Finger, die das Lenkrad umklammerten, als sei es das Einzige, was ihn noch im Auto hielt, waren ganz weiß, und er bekam kaum Luft.
Fast hätte es ihn erwischt. Er war zweifellos dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen.
Er war viel zu betrunken, um Auto zu fahren. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Er atmete ein paarmal tief und keuchend durch und fühlte seinen Puls, der sich langsam etwas beruhigte. Er massierte sich mit den Knöcheln fest die Brust; die beklemmende Enge, die er da spürte, schien auf so was wie einen Herzinfarkt hinzudeuten.
Er blickte nach unten und sah, dass das Handy auf seinem Schoß immer noch blinkte und eine Nachricht von Ty anzeigte.
Fahr vorsichtig. Die Straßen sind glatt heute Abend.
Kapitel 15
Die schneebedeckten Bäume sausten am Zugfenster vorbei, eine verschwommene Palette aus Grau-, Weiß- und Brauntönen. Em blickte wie hypnotisiert in den blauen Himmel und auf das Meer, das sich hinter den Bäumen erstreckte, und schwieg. Sie verdrängte die Gedanken an Zach und Gabby, an Liebe und Eifersucht und konzentrierte sich auf die Landschaft. Ihr Tagebuch ruhte aufgeschlagen auf ihren Oberschenkeln, die in der neuen dunklen Jeans steckten – einem Weihnachtsgeschenk ihrer Mom. Der Stift war ihr aus der Hand gerutscht und in der Öffnung zwischen Buchblock und Einband verschwunden. Sie hatte versucht, etwas zu schreiben, doch ihr fehlten die Worte.
Es war Sonntagmorgen, Silvester. Ems und JDs Eltern würden den Abend auf irgendeiner Alt-68er-Party in New York verbringen – größtenteils Ärzte und Anwälte – und Em und JD hatten beschlossen nach Boston zu fahren, um dort ins neue Jahr hineinzufeiern. Die Anrufe einiger
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