Rache der Königin
Paris in der Rue de Tournon, wo ich zwei- oder dreimal war zu der Zeit, als Marillac und Richelieu sich – ohne
viel Erfolg – um eine Annäherung bemühten. Sein Haus war weder geräumig noch warm, noch gut möbliert. Auch schien sein Gesinde
sich auf ein Minimum zu begrenzen: ein Kaplan, ein Kutscher, ein Koch und zwei Diener. Keine Spur von einer Kammerjungfer,
und man weiß, warum … Dennoch, auch wenn für Monsieur de Marillac das Fleisch nur Sünde hieß und der Leib eine Hülle war,
die ein guter Christ abzuwerfen sich bestreben mußte, um endlich als reine, unsterbliche Seele zu erstehen, war er weiblichen
Reizen nicht so abhold, daß er sich nicht verheiratet und, Witwer geworden, aufs neue geheiratet hätte.
Sein karg bestelltes Hauswesen hatte die bösen Mäuler am Hof zu behaupten veranlaßt, Marillac sei ein Knicker und Knauser.
Gerechterweise muß man aber sagen, daß Marillacs Börse karg gefüllt war. Der integre Minister hatte sich durch seine Ämter
nicht bereichert. Und zweimal mit Frauen ohne Vermögen verheiratet, blieben ihm zum Leben nur seine Bezüge als Staatssekretär
und als Königlicher Rat. Auch zusammengenommen, |230| ergab das keinen Reichtum. Was für die anderen Staatssekretäre nur ein Zubrot war, war für Marillac die einzige Einnahmequelle.
Kein Grundbesitz, keine Weinberge, kein Landhaus. Sein ganzer Besitz war das Haus in der Rue de Tournon.
Bitterkalt war es an jenem Novemberabend 1630. Auf der Straße draußen warteten Kutsche, Kutscher und Pferde zu langer Fahrt
auf den gefrorenen Wegen nach Versailles. Ehe er das Haus verließ, streifte Marillac seine dicken Pelzhandschuhe über, da
klopfte es, was ihn angesichts der späten Stunde verwunderte. Herein trat sein Kollege, der Staatssekretär Monsieur de La
Ville-aux-Clercs, der mir später erzählte, anstatt zu tun, was ihm befohlen war, habe er sich tausend Meilen weit weg gewünscht.
»Monsieur«, sagte er, bemüht, seine Stimme zu festigen, »der König hat mich beauftragt, Euch diesen Brief persönlich zu überbringen.«
Er überreichte Marillac besagtes Sendschreiben, als verbrenne es ihm die Finger. Von Vorgefühlen erfaßt, öffnete Marillac
das Schreiben mit zitternden Händen. Und er las:
Monsieur,
mit Erhalt dieses Briefes, habt Ihr Euch nach Gratigny zu begeben, in Begleitung von Monsieur de La Ville-aux-Clercs, der
Euch den Ort, der Euch erwartet, weisen und Euch in den Morgenstunden neue Instruktionen davon geben wird.
Ludwig
»Monsieur«, sagte Marillac, sobald seine Stimme wieder vernehmlich wurde, »bitte, nehmt Platz!«
La Ville-aux-Clercs setzte sich, nicht weil er das Bedürfnis hatte, sondern weil Marillacs Blässe ihm sagte, daß dessen Beine
ihn nicht mehr trügen. Auch verlangte er nach einem Glas Wasser, nicht weil ihn dürstete, vielmehr schien ihm, daß Marillac
die Stärkung nötig habe.
Und tatsächlich, als der Diener eine Karaffe und zwei Gläser brachte, leerte Marillac das seine auf einen Zug.
»Monsieur«, sagte er dann, »ich nehme an, daß Ihr mir, wenn Ihr mir morgen weitere Instruktionen geben sollt, heute abend
nichts sagen könnt.«
»In der Tat, Monsieur, ich darf es nicht«, sagte La Ville-aux-Clercs.
|231| »Darf ich trotzdem eine Frage stellen?«
»Gern, sofern es nicht eine ist, die ich nicht beantworten darf.«
»Und wenn es eine solche ist?«
»Dann würde ich Euch bitten, Monsieur, mir mein Schweigen verzeihen zu wollen.«
»Monsieur«, fuhr Marillac mit schwacher Stimme fort, »ist der Herr Kardinal von Richelieu in Versailles beim König?«
»Er ist dort«, sagte La Ville-aux-Clercs.
Hierauf folgte ein langes Schweigen.
»Monsieur«, sagte endlich Marillac, »erlaubt Ihr, daß ich mich einige Augenblicke zurückziehe?«
La Ville-aux-Clercs bejahte es, und Marillac verließ wankenden Schrittes den Raum. Er holte aus seiner Schlafkammer einen
Beutel mit Talern und ging in seine kleine Kapelle.
»Mein Vater«, sagte er zu seinem Kaplan, »wollt Ihr an meiner Statt den Koch und den Zweiten Diener entlassen? Der Erste Diener
soll bleiben und das Haus hüten, bis ich es verkaufe. Wollt Ihr bitte den Leuten auch ihren Lohn auszahlen?« setzte er hinzu,
indem er ihm den Beutel übergab.
»Ich tue alles, was Ihr verlangt, Monsieur«, sagte der Kaplan, »aber was ist denn, Monsieur? Seid Ihr krank?«
»Der König verbannt mich.«
»Gütiger Gott!« sagte der Kaplan und setzte hinzu: »Mon sieur , darf ich Euch
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