Rache der Königin
aussprach).
›Die Kabale ist es, die diesen Sturm angefacht hat. Und an die Kabale werde ich mich halten!‹«
Und wirklich, gleich am nächsten Morgen, ohne jemanden zu konsultieren, nicht einmal Richelieu, griff der König durch. Sein
Vorgehen war methodisch, rasch und unnachgiebig. Bei den Hetzern, die bislang nur von der »Schwäche und Weichlichkeit« des
Königs gesprochen hatten, war das Staunen groß, und die Tränen und das Zähneknirschen fanden kein Ende. Was die Königinmutter
anging, wurde sie, vorerst jedenfalls, nicht angetastet. Doch sowie der Hof erfuhr, daß der König Richelieu nach Versailles
gerufen habe, stand das Luxembourg auf einen Schlag verödet, und die Königinmutter sah sich verzweifelt allein. Ohne daß es
ihr im mindesten bewußt wurde, hatte ihre wütende Attacke auf Richelieu ihr selbst geschadet. Sie schob ihre Niederlage natürlich
jenem Riegel zu, den man, wie sie glaubte, vergessen hatte zu schließen. Sie verwechselte »Ursache« und Wirkung, ohne zu bedenken,
daß die Ursache eine ganz andere Wirkung hätte zeitigen können, zum Beispiel, wenn sie Richelieu nicht so zügellos angegriffen
hätte.
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|228| ZWÖLFTES KAPITEL
Im Gegensatz zu allem, was die bösen Mäuler am Hof zu schwatzen wußten – und was seitdem zur Genüge wiedergekäut wurde –,
war es nicht »der rote Mann«, wie sie den Kardinal einfallslos und gehässig nannten, der die unnachgiebige Unterdrückung der
Kabale vornahm und ausführte. Es war der König, und der König allein. Obwohl Richelieu die Strafmaßnahmen billigte, inspirierte
er sie in keiner Weise und legte nicht Hand mit an. Womit er große Mäßigung und Zurückhaltung bewies, denn das Ziel des Komplotts
war immerhin seine Verbannung gewesen und sehr wahrscheinlich sein Tod.
Der erste, den es traf, war der Siegelbewahrer Marillac, denn Ludwig hielt ihn für den Hauptschuldigen an den Hetzkampagnen;
lange genug hatte er gegen die antispanische Politik des Königs und Richelieus seinen zugleich offenen und versteckten Krieg
geführt.
Leser, um dir Marillacs Schicksal zu erzählen, laß mich einige Stunden zurückgreifen. Nach seinem warmherzigen Gespräch mit
Richelieu schickte der König Reiter an seine Staatssekretäre mit der Aufforderung, nach Versailles zur Beratung zu kommen:
was bis dahin bekanntlich nie vorgekommen war.
Um es kurz zu machen, hier die Staatssekretäre, die nach Versailles befohlen wurden: La Ville-aux-Clercs, Bullion, Bouthillier
und Marillac. Leser, Sie lesen richtig: Marillac! Nun, Marillac wußte in diesem Moment noch ebensowenig wie die Königinmutter,
daß Richelieu inzwischen nach Versailles gerufen worden war. Sie wußten nur von der extremen Kälte, die der König Richelieu
bei seinem Aufbruch vom Luxembourg bezeigt hatte. Und sie schlossen daraus, daß der König die Staatssekretäre nur nach Versailles
bestellte, um Richelieu zu entlassen und statt seiner Marillac zu ernennen.
Hoffnung hat das Verführerische und Gefährliche, daß sie eine bloße Wunschvorstellung zu einer gesicherten Wahrheit machen
kann. Vor seinem Aufbruch nach Versailles ging Marillac und |229| holte von zu Hause die Siegel. Tränen in den Augen, erzählte sein Kaplan mir später, wie er den Kasten mit den Siegeln geöffnet
und sie lange betrachtet habe, so als nehme er, da er nun zum Ersten Minister berufen würde, von ihnen Abschied. Alle vier
lagen sie da: das große königliche Siegel samt seinem Kontersiegel, das Siegel des Dauphins und dessen Kontersiegel. Freilich
war der Dauphin noch nicht geboren, doch seine beiden Siegel erwarteten ihn schon, untrennbar von denen seines Vaters.
Von diesem Kasten verwahrte allein der Siegelbewahrer den einzigen Schlüssel, den er brauchgemäß, ohne ihn jemals abzulegen,
an einer goldenen Kette um den Hals trug. Dieser Schlüssel war für den Siegelbewahrer, was Stab und Mitra für einen Bischof
sind. Er bezeichnete zugleich sein Amt und seine Würde.
Und wenn das Wort Würde auf einen Offizier des Königs zutraf, dann unbedingt auf Monsieur de Marillac. Groß, hager, schwarz
gewandet, mit tiefliegenden, blitzenden Augen und Adlernase, mit dünnen Lippen, langem Kinn, sparsamen Gesten bot er bei jeder
Gelegenheit eine geradezu olympische Erscheinung und sprach mit gebieterischer Stimme, als kenne er keinen Irrtum, war er
durch seine lebenslange, tiefe Frömmigkeit doch der göttlichen Erleuchtung teilhaftig.
Er wohnte in
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