Rache der Königin
in die Verbannung begleiten, um Euch weiter die Tröstungen unseres heiligen Glaubens zu spenden?«
»Von Herzen gern«, sagte Marillac, »ich wäre glücklich darüber, wenn nur der König es erlaubt. Wollt Ihr erst einmal tun,
um was ich Euch bat? Unser Aufbruch ist nahe.«
Der Kaplan ging, schwach und wankend schleppte sich Marillac zu seinem Betpult, kniete nieder und betete, das Gesicht in den
Händen.
Er war siebenundsechzig Jahre alt und gebrechlich. Leere war um ihn. Er hatte seine zweite Frau verloren. Sein ältester Sohn
war bei der Belagerung von Montauban am Fieber gestorben. Seinen jüngsten, der Franziskaner war, sah er selten und seine Tochter
nie, denn sie war im Carmel. Er fühlte sich grausam allein in der Welt.
Die Kutsche von Monsieur de Marillac folgte auf dem Weg nach Glatigny derjenigen von La Ville-aux-Clercs und wurde |232| selbst von zehn Bogenschützen zu Pferde begleitet, die ihn zugleich schützten und bewachten.
Um ein Uhr in der Nacht erreichte Marillac Glatigny und das angewiesene Quartier. Auf der Schwelle seines Gemachs fragte Marillac,
ob er La Ville-aux-Clercs den Kasten mit den Siegeln und den Schlüssel an seinem Hals jetzt gleich übergeben solle. La Ville-aux-Clercs,
der verstand, welche Gefühle sich hinter dieser Frage verbargen, antwortete, die Übergabe könne ohne weiteres bis zum Morgen
warten.
So verbrachte Marillac denn die letzte Nacht in Gesellschaft der königlichen Siegel, und nachdem er vermutlich wenig und schlecht
geschlafen hatte, weckte er seinen Kaplan, damit er ihm in der Hauskapelle die Messe lese.
Durch einen merkwürdigen Zufall begann der Meßtext mit den Worten: »Jene, die um der göttlichen Wahrheit willen leiden, empfehlen
ihre Seele dem Schöpfer.« Kaum hatte Marillac die tröstliche Botschaft des Herrn vernommen, als eine Hand sich auf seine Schulter
legte, nur leicht in Wahrheit, und doch dünkte sie ihn schwer.
»Mein Freund«, sagte La Ville-aux-Clercs, »es ist Zeit, zu unserem Bestimmungsort aufzubrechen.«
»Monsieur«, sagte Marillac, »wollt Ihr erlauben, daß wir die Messe zu Ende hören?«
»Selbstverständlich«, sagte La Ville-aux-Clercs, etwas beschämt wegen seiner Ungeduld.
In Wahrheit aber ging ihm der Auftrag, den er da erfüllte, so zu Herzen, daß er ihn baldmöglichst hinter sich bringen wollte.
Nach beendeter Messe und in Gegenwart des Kaplans und des Leutnants, der die Wachen befehligte, übergab Marillac den Kasten
mit den Siegeln und den einzigen Schlüssel dazu an La Ville-aux-Clercs.
Nun begann eine lange Reise, die Marillac nach Châteaudun führte, wo er im Schloß eingesperrt und Tag und Nacht von Bewaffneten
bewacht wurde, sogar – was ihn sehr demütigte – wenn er seine Notdurft verrichtete. Für alles hatte er selbst aufzukommen,
auch für die Ernährung seiner Bewacher. Weil er aber weder Siegelbewahrer noch Königlicher Rat mehr war, erhielt er keine
Bezüge mehr. Seine magere Barschaft war in kurzem erschöpft, und er sah sich gezwungen, auf sein Pariser Haus zu borgen, bis
er es verkaufen konnte. Um seinem Leben |233| einen Sinn zu geben, beschäftigte sich Monsieur de Marillac mit einer Übersetzung der Psalmen. Es half ihm wenig. Nach knapp
zwei Jahren, 1632, starb er, und mehr an seiner Ungnade, sagt sein Kaplan, als an einer Krankheit.
***
Erlaube mir, Leser, nach Versailles zurückzukehren: Der Große Königliche Rat ernannte auf Vorschlag des Königs Monsieur de
Châteauneuf zum Siegelbewahrer und Monsieur Le Jay zum Ersten Präsidenten des Pariser Gerichtshofes. Beide waren Freunde Richelieus,
so daß er nun ruhiger schlafen konnte. Sobald die Sitzung geschlossen war, eilte ich nach Paris und fand Catherine in Unruhe
über mein langes Ausbleiben. Sie stellte mir Frage um Frage nach Monsieur de Marillac, die ich ihr freilich erst Tage später
beantworten konnte, nachdem ich La Ville-aux-Clercs gesprochen hatte, der von dem ihm befohlenen Auftrag noch ganz bewegt
war.
»Armer Marillac!« sagte Catherine, »so hoch gestiegen und so tief gefallen!«
»Meine Liebe, vergeßt nur bitte nicht, wieviel Übles Marillac gegen Richelieu ins Werk gesetzt hat, er war nun einmal der
denkende Kopf des ganzen Klüngels, und im Fall seines Sieges hätte er Frankreich zum Vasallen Spaniens gemacht.«
»Ihr habt recht, trotzdem tut er mir leid. Und gleichzeitig verwünsche ich diese Erzfrömmler, die wie er nur darauf aus sind,
die Protestanten, die unter uns
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