Rache der Königin
empfangen, vorausgesetzt, sie
spreche nicht von der Königinmutter. Wer hätte gedacht, daß Maria von Medici nach dieser völlig unnützen Demarche einen fünften
Versuch machen würde? Ihren Instruktionen gehorsam, warf sich ihre Ehrendame, Madame de Guercheville, als sie in einem Flur
des Louvre dem König begegnete, ihm dramatisch zu Füßen: ›Sire!‹ schrie sie, ›könnt Ihr Eure Mutter verjagen?!‹ – ›Sie ist
meine Mutter, ja‹, sagte Ludwig. ›Aber bis jetzt hat sie mich nicht als Sohn behandelt.‹«
Diese Worte waren für mich von besonderem Interesse, denn als ich in einem früheren Band meiner Memoiren von jenen unzeitgemäßen
Ersuchen der Königinmutter sprach, hatte ich sie in drei Zeilen abgehandelt, und weil ich nicht so gut informiert war wie
Richelieu, hatte ich die fünf Demarchen der Königinmutter Gott weiß warum auf sechs beziffert.
»Die Lehre aus dieser Geschichte ist«, schloß Richelieu, »daß man über den Unterschied zwischen Unnachgiebigkeit und Hartnäckigkeit
nachdenkt.«
»Ich gestehe, Eminenz, daß ich einen Unterschied empfinde, aber nicht definieren kann.«
»Ich habe mich darin versucht«, sagte Richelieu mit einer |148| Bescheidenheit, auf die ich nicht hereinfiel (denn er liebte die Dichter und die Feinheiten der Sprache). »Ich für mein Teil
würde sagen, daß Unnachgiebigkeit der von der Vernunft erleuchtete Wille ist. Und daß Hartnäckigkeit der Verbohrtheit nahe
kommt, der Sturheit, einem Willen ohne Vernunft. Ich vergleiche Hartnäckigkeit mit einer dicken Wespe, die hundertmal gegen
dieselbe Scheibe stößt, ohne das offene Fenster zu suchen und zu finden, durch das sie davonfliegen könnte. Deshalb«, setzte
er nach kurzem Schweigen hinzu, »mache ich mir keine Illusionen über den prekären Frieden, den Ludwig zwischen seiner Mutter
und mir hergestellt hat. Ich mag es gut oder schlecht machen, die Königinmutter hat sich ein für allemal gegen mich verbohrt,
und immer wird ihr Stachel mich verfolgen.«
Hier überflog leichte Röte das blasse und abgezehrte Gesicht des Kardinals. Und er schien mir ein wenig verlegen, weil er
sich von seiner Metapher hatte verleiten lassen, hinsichtlich der Königinmutter von »Stachel« zu sprechen, so als setze er
sie mit jener dicken Wespe gleich, deren zielloses Anrennen gegen die Scheibe er vorher geschildert hatte.
Doch da ich mir nichts anmerken ließ, etwa daß ich irgendeine Verbindung zwischen der dicken Wespe und dem Stachel zöge, gewann
Richelieu seine Ruhe zurück.
»Mein Cousin«, sagte er in dem knappen und bestimmenden Ton, den er pflegte, »es ist spät und, wie Henri Quatre sagte, mich
schläfert, und Euch wird es auch schläfern. Morgen früh um acht Uhr tritt der Große Königliche Rat zusammen. Seid pünktlich.
Zur Debatte stehen wird unsere verschlechterte Situation in Italien. Und die Abwesenheit von Monsieur! Monsieur, der einem
wahrlich einen sehr harten Knochen zu knacken gibt.«
Meine Güte! dachte ich, als ich ging, zuerst eine dicke Wespe! Dann ein harter Knochen!
Che famiglia!
wie der Venezianer Zorzi sagte.
***
»Monsieur, auf ein Wort, bitte.«
»Schöne Leserin, ich höre.«
»Darf ich fragen, warum Sie in Ihren Memoiren bis jetzt so wenig von Monsieur, dem Bruder des Königs, gesprochen haben?«
|149| »Oh, doch! Ich habe von ihm gesprochen, Madame, hier und dort in den verschiedenen Bänden meiner Memoiren, die Sie vielleicht
nur nicht alle gelesen haben. Daher mag es ganz angebracht sein, wenn ich in Anbetracht der Rolle, die er im folgenden spielen
wird, all die Einzelheiten einmal versammle und ein vollständigeres Bild von ihm gebe.
Auch wenn ich das Gegenteil wünschte, muß ich leider sagen, daß Gaston von Anfang bis Ende der Regentschaft seines Bruders
eine schädliche und unerquickliche Rolle gespielt hat. Haben Sie auf Schloß Blois einmal die Statue von Gaston d’Orléans gesehen?
Was daran am meisten auffällt, wenn man aufmerksam hinsieht, sind seine weichlichen und schwächlichen Züge. Das allein wirft
ein erhellendes Licht auf ihn.«
»Monsieur, könnten Sie das näher erläutern?«
»Nun, in erster Linie, Madame, war Gaston sehr ausschweifend.«
»Ach, Monsieur, nur weil Sie durch Ihre Ehe – wenn auch unfreiwillig – tugendhaft geworden sind, müssen Sie jetzt nicht über
menschliche Schwächen die Nase rümpfen. Wenn ich mich recht entsinne, gab es in Ihren Jugendtagen einen ganzen Reigen
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