Rache der Königin
mit!
Nachdem der Kardinal seine Lektüre beendet hatte, faltete er die Bogen und steckte sie in die Innentasche seiner Soutane,
wobei er wie im Selbstgespräch sagte: »Das muß der König lesen.« Dann senkte er die Augen auf seinen Teller und verharrte
so eine Weile.
Was nun geschah, Leser, erregte mein größtes Erstaunen. Denn es geschah selten, daß der stets verschwiegene und mit Worten
sparsame Kardinal sich vor einem wenngleich voll vertrauenswürdigen Diener herbeiließ, eine Gemütsbewegung zu äußern oder
eine seiner Erinnerungen zu berufen. Und beides tat er an diesem Abend.
»Mein Cousin«, sagte er, »glaubt Ihr, daß die Königinmutter mir gegenüber eines Tages Reue zeigen wird?«
»Mir scheint, Eminenz, nach der schmerzhaften Schlappe, die sie einstecken mußte, wäre es nur vernünftig, wenn sie es täte.«
|146| »Vernünftig!« sagte Richelieu, indem er große Augen machte. »Wann wäre sie jemals vernünftig gewesen?«
Mehr sagte er nicht, und für eine Weile wahrte er Schweigen. Auch ich schwieg. Bekanntlich stellt man, wie dem König, auch
dem Kardinal keine Fragen. Diese Regel zu übertreten wäre die schlimmste Ungehörigkeit. Ich blieb also still wie ein Maulwurf
im Bau, gleichzeitig aber auf der Lauer, denn für mein Gefühl hatte Richelieu schon zuviel gesagt, um nicht noch mehr zu sagen.
Und wirklich kam er, wenn auch auf einigen Umwegen, zu seinem Thema zurück.
»Mein Cousin«, fuhr er fort, »man muß Euch, der Ihr so mutig daran beteiligt wart, nicht an den Staatsstreich vom vierundzwanzigsten
April 1617 erinnern. Der infame Concini auf königlichen Befehl exekutiert, seine Megäre im Kerker, die Königsmacht den unwürdigen
Händen entrissen und die Königinmutter festgehalten in ihren Gemächern. Ihr entsinnt Euch dieser überraschenden Tatsachen,
nicht wahr? Um ihr jeden Fluchtweg zu nehmen, scheute Ludwig keine Mittel: Kurzerhand ersetzte er ihre Leibgarde durch seine,
schickte Maurer, die beiden Geheimtüren ihrer Wohnung zuzumauern, und drei starke Erdarbeiter mußten die kleine Holzbrücke
abreißen, mittels deren seine Mutter den Graben hatte überschreiten und in den Gärten an der Seine lustwandeln können: eine
weitere Möglichkeit, den Louvre zu verlassen. So kam es, daß die Königinmutter sich noch vor ihrer Verbannung nach Schloß
Blois gefangen fühlte und es unstreitig auch war. Worauf sie in einen ihrer Wutausbrüche verfiel, wie sie die Gewölbe des
Louvre lange erschüttert hatten und von denen die Zocoli uns ja ein Beispiel geschildert hat. Brüllend, heulend, sich die
Haare raufend und die Hände ringend, verwünschte sie die Concinis, die sie so lange angebetet hatte, und bezeugte durch die
Initiativen, die sie gleichzeitig ergriff, ihren herrischen Charakter.
Sie schickte ihren Rittmeister, Monsieur de Bressieux, dem König zu sagen, daß sie ihn sprechen wolle. Wäre ich zu dem Zeitpunkt
bei ihr gewesen«, fuhr Richelieu fort, »ich hätte ihr von einem so unangebrachten Schritt abgeraten. Die Königinmutter hatte
Ludwig sogar noch, als er schon großjährig war, so abscheulich seiner königlichen Vorrechte beraubt, daß eine Einigung im
Moment völlig ausgeschlossen war.
Mehr noch, daß Ludwig den Günstling Concini ermorden und |147| die Galigaï hinrichten ließ, zeigte einen Grad von Entschlossenheit und Unerbittlichkeit, der der Königinmutter nicht die
mindeste Hoffnung ließ, daß er seine Entscheidungen ändern werde. So überraschte es mich nicht, daß Monsieur de Bressieux,
als er dem König das Anliegen der Königinmutter vortrug, die dürre Antwort erhielt: ›Ich werde sie zu gegebener Zeit sprechen.‹
Jeder andere als die Königinmutter hätte sich das gesagt sein lassen. Sie mitnichten. Sie schickte den Mann zum zweitenmal
mit derselben Forderung und erfuhr dieselbe Ablehnung. Hierauf mußte Monsieur de Bressieux ein drittes Mal zum König gehen.
Diesmal war es keine Ablehnung, es war eine drohende Abfuhr, der König entgegnete dem armen Bressieux, wenn er ihm noch einmal
mit derselben Botschaft komme, werde er ihn in die Bastille sperren.
Denkt Ihr, die Königinmutter hätte ihre Drängeleien jetzt eingestellt? Aber nein! Sie schickte die Prinzessin Conti, die,
klüger als Monsieur de Bressieux, Ludwig um eine Audienz bat. Einer Prinzessin und Angehörigen des mächtigen Hauses Guise
konnte man nicht mit der Bastille drohen. Der König antwortete ihr galant, er wolle sie gern
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