Rache der Königin
Und wie zu erwarten, ging die Zähmung des Raubtiers schief. Denn als
der Löwe seine Geschäfte wie gewohnt auf den Teppichen des vornehmen Hauses machte, wurde er eines Tages von einem Diener
hart angefahren und sogar mit einem Scheuerbesen bedroht. Der Löwe, so groß wie sein Herr, ließ sich die Frechheit nicht bieten,
sprang und zerfleischte dem Mann die Kehle. Alles schrie nach dem Herzog, der aber bei seinem Kartenspiel um so wenig nicht
gestört werden wollte. Er befahl seinen Soldaten, das Tier zu erschießen und nebst dem Diener im Garten zu verscharren.
Doch zurück zu unseren Hammeln. Wie sich herausstellte, hatten kurz vor Richelieus Aufbruch zum zweiten Italienfeldzug Bassompierre
und der Marschall Louis de Marillac (der Bruder des Siegelbewahrers) den Herzog von Guise in seinem Hôtel besucht. Das Gespräch
drehte sich um Richelieu und geriet derart in Hitze, daß unser Trio, weil es die Ungnade des Kardinals glühend wünschte, diese
schon für gewiß nahm und phantasierte, was dann mit ihm geschehen solle. »Hier«, sagte Fogacer, »zögerte die Lauscherin ein
wenig, mir das Nachfolgende zu enthüllen. Erst auf meine dringliche Frage gab sie an, |171| daß Marschall von Marillac für seinen Tod plädiert habe, Bassompierre für Kerker und der Herzog von Guise ebenfalls für den
Tod, den schimpflichsten Tod selbstverständlich.«
Ich war über diese unglaublichen Reden außer mir. Doch obwohl ich den Herzog nicht eben schätzte, waren wir Söhne derselben
Mutter. Und würde er so hart bestraft, wie seine Bosheit es verdiente, fiele seine Ungnade auf meine liebe Patin zurück, die
verwitwete Herzogin von Guise, die ich bekanntlich sehr liebte und die seit einiger Zeit so krank war, daß sie das Bett nicht
mehr verließ.
Ich eröffnete mich hierüber Fogacer, und er meinte: »Mein Freund, es schadet weder dem Kardinal noch dem Herzog von Guise,
wenn Ihr seine Wortwahl ein wenig korrigiert und ihn statt des Todes zum Beispiel die Verbannung wählen laßt, eine immerhin
mildere Strafe. Zudem klingt es besser im Ohr: Marillac für Tod, Bassompierre für Kerker, der Herzog für Verbannung. Der größte
Herr wählt das kleinste Übel.«
Ich dankte Fogacer und trug dem König die Version vor, die nach Fogacer »besser im Ohr klang«. Trotzdem wurde das königliche
Antlitz bei Anhörung meiner Enthüllung zu Stein. »Was für elende Tröpfe!« sagte er. »Sie reden, wie wenn es schneit, und glauben,
daß es keine Konsequenzen hat. Sie täuschen sich.«
Die Wochen vergingen, ein ganzer Monat, und erst gegen Ende März 1630 erreichte den König wieder ein Brief des Kardinals.
Ich mußte ihn vor dem Großen Rat verlesen.
Der Inhalt dieses Briefes war folgender: Am fünfzehnten März, noch von Chiomonte aus, das der Leser schon kennt, und wäre
es nur durch die spaßige Prophezeiung des Grafen von Sault, mich eines Tages in den Fenstern der Dorfkirche verewigt zu sehen,
hatte Richelieu ein Ultimatum nach Susa gesandt und für die königliche Armee freie Bewegung auf den Straßen des Herzogtums
verlangt. Die Antwort, die er erhielt, war ganz nach der Art des Herzogs von Savoyen: vage, ausweichend, aufschiebend. Also
beschloß der Kardinal anzugreifen. Er marschierte ohne jeden Schußwechsel in Susa ein, der Herzog von Savoyen hatte sich nach
Turin aufgemacht. Der Kardinal verfolgte ihn auf seinem Weg nach Turin, doch ohne an eine Belagerung zu denken, und als er
mehrere Meilen vor der Stadt in einem Dorf namens Rivoli Rast hielt, erfuhr er, daß |172| an tausend savoyardische Soldaten sich nach Pinerolo geflüchtet hatten, einer kleinen, befestigten Stadt. Er schickte Marschall
von Créqui mit siebentausend Mann zur Erkundung des Ortes. Doch als sie anlangten, stand der leer. Aus Furcht vor der Überzahl
waren die savoyardischen Truppen ohne Gegenwehr entwichen. Créqui besichtigte die Feste Pinerolo mit dem Blick des Soldaten,
war von seiner Eroberung entzückt und schickte sogleich einen Reiter mit einem Brief zum Kardinal. Den machte Créquis Schilderung
derart neugierig, daß er mit verhängten Zügeln herbeieilte. Und kaum angelangt und ebenfalls auf dem Gipfel der Begeisterung,
schrieb er an den König und pries die – kampflose – Einnahme von Pinerolo als einen »großen Sieg«. Allerdings war der hohe
strategische Wert dieser Feste unstreitig.
***
»Monsieur, nur ein Wort, bitte.«
»Schöne Leserin, ich höre.«
»Mir scheint, Sie
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