Rache der Königin
die
Stimme dämpfte oder ganz schwieg, wenn der kleine Geistliche, der ihn begleitete und der sehr hübsch war, in Schlummer fiel
oder dem Schlummer auch nur nahe schien. Meiner Schätzung nach war er noch keine siebzehn Jahre alt. Er hieß Saint-Martin,
und wenn er schlief, hatte er tatsächlich etwas von einem Heiligen, einem Engel sogar, soviel Unschuld, soviel kindliches
Vertrauen lagen dann auf seinem Gesicht.
Fogacer, der sich in meinem Beisein wohl scheute, ihn uneingeschränkt zu betrachten, warf immer wieder einen flinken, flüchtigen
Blick nach ihm, doch selbst dann sprach aus seinen Augen eine grenzenlose Liebe, eine Liebe, schien mir, die, wenn es drauf
ankäme, jedes Opfer bringen würde. Und ich dachte, daß doch jedes Gefühl erhaben ist, gleichviel, wem es gilt, wenn es solche
Selbstentsagung einschließt.
Erst als der kleine Saint-Martin fest schlief, enthüllte mir Fogacer
sotto voce
den angekündigten »Bericht«.
»Die Quelle«, sagte er, »ist absolut vertrauenswürdig. Im übrigen kennt Ihr sie, Ihr seid ihr bei Guron begegnet.«
Obwohl wir vertraulich sprachen, nannte Fogacer keinen Namen, so vorsichtig, als könnten die Polster der Karosse Ohren |178| haben. Was ich zu hören bekam, übertraf allerdings meine schlimmsten Erwartungen, und ich lauschte ihm atemlos.
Hier nun, Leser, was Fogacer mir erzählte und was ich sogleich für den König niederschrieb.
»In der Nacht vor ihrer Abreise von Paris empfing die Königinmutter einen Besucher, der seine scharfen Gesichtszüge im Mantel
verbarg. Das Gespräch fand ohne Zeugen statt, ohne sichtbaren wenigstens, denn unsere Lauscherin, durch das geheimnisvolle
Gebaren aufmerksam geworden, heftete ihr hübsches Ohr an die Tür und vernahm als erstes, daß der Besucher ihrer Herrin sich
der ›Geächtete‹ nannte.«
»Von dem Burschen habe ich doch gehört!« sagte ich verblüfft.
»Ich auch«, sagte Fogacer, »zumal es mein Bischof war, der ihm die Strafe auferlegte, weil er etlichen dummen Leuten das Geld
aus der Tasche gezogen hatte, indem er ihnen die Zukunft weissagte und behauptete, Zauberkräfte zu besitzen. Protegiert jedoch
von einem großen Herrn, der genauso abergläubisch war wie die Gevatterinnen von den Hallen, entging er Kerker und Galgen.
Unverfroren machte er sich seine Kirchenstrafe zum Ruhm und nannte sich fortan der Geächtete. Und weil die Menschen sind,
was sie sind, steigert dieser Name seinen Nimbus und vermehrt seine Kundschaft.«
»Und einen solchen Aufschneider ruft die Königinmutter?«
»Nun, es ist nicht das erstemal, daß eine Königin oder ein König von Frankreich einen Wahrsager befragt! Aberglauben ist nicht
auf die kleinen Leute begrenzt.«
»Und was wollte die Königinmutter von dem Halunken wissen?«
»Wartet’s ab, lieber Freund«, sagte Fogacer, »es ist seltsam und beunruhigend genug.«
»Und wie benahm er sich?«
»Überaus vorsichtig. Der Geächtete ist kein Kind, dem man das Brot in Scheiben buttert. Er ist gerieben und legt keinen allzu
großen Wert darauf, eines Tages am Galgen zu baumeln. Die erste Frage der Königinmutter war: Wie seht Ihr die Zukunft des
Kardinals?«
»Zum Teufel!«
»Antwort des Geächteten: Vorläufig sehr gut, aber das kann sich ändern.«
|179| »Was für uns beide genauso gelten könnte.«
»In der Tat. Zweite Frage: Setzt der Kardinal verbotene Mittel ein, um sich beliebt zu machen?«
»Beim schönen Geschlecht jedenfalls nicht«, sagte ich.
»Lieber Freund, mit demjenigen, bei dem der Kardinal sich, womöglich durch ›hexerische Mittel‹, beliebt macht, ist ja wohl
der König gemeint … Die Königinmutter, die von den großen Geschäften nichts versteht, versteht ebensowenig, welche großen
Dienste Richelieu Ludwig erwiesen hat und wie sie sich die Anhänglichkeit des Königs für den ›besten Diener, den er jemals
hatte‹, erklären soll. Es müssen also ›verbotene Mittel‹ sein, diabolische wohlverstanden, die in den Augen der Königinmutter
das Unerklärliche erklären.«
»Und die Antwort des Mannes?«
»Sehr schlau: Es kann sein, daß der von Eurer Majestät Genannte verbotene Mittel besitzt, man kann sie aber nicht ausmachen,
weil er sie hinter sichtbaren Vorzügen verbirgt.«
»Sichtbare Vorzüge! Vortrefflich! Die sichtbaren Vorzüge gefallen mir!«
»Dritte Frage. Und damit, mein Freund, verlassen wir die Farce und geraten ins Drama. Die dritte Frage also: Gebietet Richelieu
über geheime
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