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Rache der Königin

Rache der Königin

Titel: Rache der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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verfallen hier in eine Unart, die mich bei den Historikern oft ärgert. Sie sprechen in belehrendem Ton vom
     hohen strategischen Wert einer Festung, erklären aber nicht, weshalb. Man fragt sich, ob sie es selber wissen.«
    »Schöne Leserin, verleumden Sie die Historiker nicht! Natürlich wissen sie es, nur erscheint ihnen dieser strategische Wert
     wohl zu offensichtlich, um einer Erklärung zu bedürfen.«
    »Und Ihnen, Monsieur, ist Ihnen der von Pinerolo offensichtlich?«
    »Zweifellos! Und weil ich, liebe Freundin, mir Ihre Geneigtheit erhalten möchte, will ich versuchen, ihn ohne Gelehrsamkeit
     zu erklären. Doch erlauben Sie mir zuerst einen kleinen Rückgriff. Bisher gingen wir davon aus, daß für den König von Frankreich
     Casale der Schlüssel zu Italien sei, jene Stadt, die Toiras seit mehreren Monaten hartnäckig gegen eine mächtige, von Spinola
     befehligte spanische Armee verteidigte. Nun, genau besehen, hat aber Casale, wenngleich eine viel größere Stadt als Pinerolo,
     lange nicht denselben strategischen Wert!«
    »Wie das?«
    »Zum ersten liegt Casale viel zu weit von der französischen Grenze entfernt: Um von Briançon Hilfe nach Casale zu bringen, |173| sind fünfundvierzig Meilen zurückzulegen. Hingegen sind es von Briançon nach Pinerolo nur fünfzehn Meilen.«
    »Wenn ich Sie recht verstehe, Monsieur, ist der Schlüssel zu Italien dem Tor Frankreichs bedeutend näher gerückt.«
    »Ihr Wort, Madame, trifft den Nagel auf den Kopf. Bedenken Sie nur, liebe Freundin, wie unvergleichlich diese fünfzehn kleinen
     Meilen, die Briançon von Pinerolo trennen, die Nachrichtenübermittlung, die Versorgungstransporte und notfalls die Verstärkung
     erleichtern. Dagegen liegt Casale gefährlich weit von Frankreich und dazu noch zwischen zwei feindlichen Städten, Turin, das
     dem Herzog von Savoyen, unserem jetzt erklärten Feind, gehört, und Mailand, wo die Spanier sitzen.«
    »Nur sagten Sie doch aber, daß Casale viel größer ist als Pinerolo.«
    »Liebe Freundin, der strategische Wert einer Festung hat nichts mit ihrer Größe zu tun, vielmehr damit, wie schwer sie zu
     erobern ist. Und Pinerolo, das die Franzosen Pignerol nennen, hat eine ausgezeichnete Lage auf einem hohen Hügel, mit weiter
     Sicht auf das Umland, so daß jede feindliche Annäherung beizeiten zu beobachten ist. Den Donjon umschließt ein Kastell, das
     wiederum von Türmen mit Schießscharten verteidigt wird. Der König und der Kardinal haben diese ursprüngliche Anlage aber noch
     verstärkt, um sie uneinnehmbar zu machen. Sie umgaben das Kastell nicht mit einer, sondern mit zwei aufeinanderfolgenden Mauern,
     aber nicht etwa rund, sondern rechtwinklig verlaufenden Mauern, die beide Zinnen und Wachttürme tragen. Überdies wurden diese
     Mauern nicht lotrecht gebaut, sondern schräg, so daß das Untere mehr einwärts liegt als das Obere und es nahezu unmöglich
     ist, Sturmleitern anzustellen: Sie fänden keinen ausreichenden Stand.
    Ein Torgebäude bewacht den Zugang zu den beiden Mauerzügen. Man tritt über eine Brücke ein, die auf Säulen steht und von viereckigen
     Türmen bewacht wird.«
    »Monsieur, eine letzte Frage. Da wir Pinerolo oder Pignerol nun haben – geben wir Casale auf?«
    »Aber nein! Wenn wir Casale aufgäben, würden die spanischen Truppen, die es belagern, sofort gegen Mantua, unseren Freund
     und Verbündeten, ziehen, den schon die kaiserlichen Österreicher bedrohen.«
    »Also ist der Krieg noch nicht zu Ende?«
    |174| »Sagen Sie nicht,
der
Krieg, Madame, sagen Sie, die Kriege: nämlich einerseits der, den König und Kardinal gegen die Spanier und die Kaiserlichen
     führen, und andererseits der Krieg der Königin, der Königinmutter, Gastons, Marillacs, der Frömmler und der Großen gegen den
     König und seinen Minister. Und dieser letzte Krieg, Madame, wird in jenem Jahr 1630 deutlich erbitterter und grausamer.«

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    |175| NEUNTES KAPITEL
    Erst nach langen, mühseligen Verhandlungen – und indem er beträchtliche Summen zahlte – gelang es Ludwig, seinen Bruder aus
     Lothringen nach Paris zurückzuholen. Wie gesagt, der Gedanke, seinem Vaterland verpflichtet zu sein, streifte Gaston nicht
     einmal. Im Gegensatz zum älteren Bruder schwebte der Geist Henri Quatres nicht über ihm.
    Damit er nun in der Hauptstadt bliebe, ernannte ihn Ludwig zum »Generalleutnant von Paris«, ein Titel, der Gaston sehr schmeichelte,
     der ihm aber, so einträglich er war, keine Macht gab, denn alle

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