Rache der Königin
Vierteljahr nicht gesehen, und alles, was sie mir zu sagen weiß, ist: Ihr habt den Krieg verloren! Entlaßt den Kardinal! Was,
zum Teufel, habe ich den Göttern getan, daß ich eine solche Mutter habe? Sioac, schreibt unverzüglich an den Kardinal, er
soll zu mir nach Lyon kommen. Bei dieser sich überall verbreitenden Pest muß mit dem Feind auf jeden Fall ein Waffenstillstand
geschlossen werden, und dazu brauchen wir den Kardinal. Sollen die Marschälle sich in Grenoble um die Truppen kümmern, damit
sie nicht desertieren. Beeilt Euch, Sioac, schreibt den Brief und bringt ihn mir. Ihr werdet sehen«, setzte er wütend hinzu,
»die Königinmutter wird jetzt jeden Tag, jede Stunde, jede Minute fordern, daß ich den Kardinal entlassen soll. Hat man je
einen solchen Starrsinn gesehen?«
Am nächsten Tag wirkte der König, nach einer guten Nacht in einem guten Bett, besser erholt, nicht mehr so matt und »sonderbar«,
wie er mir beim Erwachen zu sagen geruhte, nachdem Bouvard seinen Puls gemessen hatte. Und mit der Ankunft Richelieus zwei
Tage darauf war er wieder ganz »auf |197| dem Posten«. Der Kardinal brachte eine nicht gerade gute, aber doch willkommene Nachricht. Dank der Schläue und Beharrlichkeit
Giulio Mazarinis hatten die Spanier sich für Casale auf eine Notlösung eingelassen: Toiras und die Franzosen sollten die Zitadelle
behalten und die Spanier Stadt und Schloß besetzen. Der Waffenstillstand sollte bis zum fünfzehnten Oktober dauern. Wenn die
französische Armee bis dahin nicht vor den Mauern von Casale erschienen sei, müsse Toiras mit seinen Truppen die Zitadelle
räumen.
Dieser Waffenstillstand dünkte mich nun so seltsam, daß ich mich hierüber Fogacer eröffnete, denn zweifellos hatte Mazarini
den Pakt doch nach päpstlicher Anregung ausgeknobelt und den kriegführenden Parteien aufgedrückt.
»Mein Freund«, meinte Fogacer, »seit die Kaiserlichen Mantua besitzen, haben sie die Hände frei. Aber die Spanier wollen keinesfalls,
daß sie ihnen in Casale beispringen, und der Papst schon gar nicht. Denn sind Spanier und Kaiserliche auch derselben Habsburger
Brut entsprungen, heißt das noch lange nicht, daß sie einander innig lieben, dazu finden die Iberer die Kaiserlichen viel
zu besitzergreifend und der Papst erst recht.«
Seltsam, wieviel ich auch in meinem Gedächtnis forsche, kann ich mich doch nicht entsinnen, an welchem Tag genau der König
zu Lyon von der Krankheit ergriffen wurde, die ihn ums Haar hinweggerafft hätte. War es am Samstag, dem einundzwanzigsten
September 1630, oder am Sonntag, dem zweiundzwanzigsten? Natürlich weiß ich, daß das Datum nebensächlich ist, wenn es sich
um ein Ereignis von solcher Tragweite handelt, daß es beinahe die Geschicke des Reiches verändert, und zum Schlimmsten verändert,
hätte. Gleichwohl finde ich es ein wenig beunruhigend, daß die Geschichte ein so denkwürdiges Datum nicht zu präzisieren vermag.
Bis zu Ludwigs Rückkehr nach Lyon hatte die Königinmutter im erzbischöflichen Palast gewohnt, nun aber, weil sie entweder
Lyon noch im September zu erstickend fand oder aber es vorzog, dem König fern genug zu sein, um unbehelligt den Klüngel zu
empfangen, der sich gegen seine Politik verschworen hatte, zog sie auf die andere Seite der Saône, in die Abtei Ainay, einen
eher ländlichen Ort, wo sie ihren Sohn zu einer Sitzung des Großen Rats empfing, und zwar an ebenjenem Tag, dessen Datum ich
nicht genau weiß.
|198| Auf dieser Ratstagung geschah nichts, was man nicht hätte vorhersagen können. Vehement plädierten die Königinmutter und Marillac
für einen Frieden um jeden Preis. Die übrigen Ratsmitglieder fanden es ehrlos, alles aufzugeben, und wollten den Kampf fortsetzen.
Und weil der König sich, wie erwartet, in demselben Sinn aussprach, gingen Marillac und die Königinmutter aus dieser Konfrontation
aufs neue geschlagen hervor.
Nun, wir hatten die Abtei Ainay kaum verlassen, als die Krankheit des Königs begann: Er wankte, legte, um sein Gleichgewicht
zu halten, die Hand auf Richelieus Schulter, klagte mit erstickter Stimme über einen jähen Schmerz im Kopf und daß ihn Schauer
durchliefen. Richelieu führte ihn in seine Karosse und ließ diese, um mit dem Umweg über die Brücke keine Zeit zu verlieren,
mit der Fähre über den Fluß setzen, so daß sie vor dem erzbischöflichen Palast an Land kam. Wir stützten den König rechts
und links, um ihm die Stufen
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